MB-Kritik

Mum, Mum, Mum 2020

Drama

Inhalt

Das Haus ist voller Menschen. Nur Cleo ist allein. Nachdem ihre kleine Schwester Erin im Pool der Familie ertrunken ist, sind Oma, Tante und Cousinen immer anwesend. Cleos Mutter aber hat sich in sich selbst zurückgezogen und ist nicht ansprechbar. Cleos Welt zerfällt in Momentaufnahmen.

Kritik

Verträumte Lieblichkeit und romantische Entrücktheit erschaffen in Sol Berruezo Pichon-Riviéres metaphysischem Debüt ein trügerisches Idyll. Wie ein verwunschenes Schloss erscheint der Schauplatz einer Villa umgeben von undurchdringlichen Hecken, die fremde Blicke ausschließen. Es ist ein rein femininer Mikrokosmos, in dem Männer nur kurz als Arbeiter auftauchen, bewohnt von Frauen und Mädchen unterschiedlicher Altersstufen, die ebensogut Verbarrikadierte wie Gefangene sein könnten. In der anderweltlichen Ruhe lauern psychologische und emotionale Abgründe, während ein unsichtbarer Eindringling umgeht.

Der Tod, der überall draußen wartet, hat seinen Weg in die behütete Symbolwelt einer von Erwachsenensorgen scheinbar unberührten Kindheit gefunden. Der Unfalltod der jüngeren Schwester Erin (Florencia Gonzalez) markiert für die 12-jährige Cleo (Augustina Milstein) den Abschied von einer Unschuld, die sich mit jeder der impressionistischen Momentaufnahmen mehr als repressives Konstrukt enthüllt. Dahinter steht idealisierte Unwissenheit und Passivität, welche die Protagonistin und ihre Cousinen zu leichten Opfern und konditionierten Objekten einer chauvinistischen Gesellschaft machen.

Im Kreis ihrer Cousinen Nerina (Chloé Cherchyk), Manuela (Camila Zolezzi) und Leonica (Matilde Creimer Chiabrando), die mit der Tante (Vera Fogwill) angereist sind, sucht Chloe nach Ausdrucksformen ihrer Trauer. Aus Kinderspielen werden bizarre Rituale während die von Verlustschmerz und -angst überschattete Sommerstimmung immer erdrückender wird. Ansätze einer Handlung verdrängt eine um Tabus, Repression und Sexualität kreisende Symbolik, die zwischen Kunstsinnigkeit und Künstlichkeit pendelt. Allegorische Episoden fügen sich zu einer märchenhaften Atmosphäre, ebenso hypnotisch wie einschläfernd.

Fazit

In Szenen, deren sorgsam komponierte Details an Genremalerei erinnern, untersucht Sol Berruezo Pichon-Riviére die verschlungenen Wege kindlicher Trauer. Deren Ursache weist auf die dezidiert Frauen betreffenden omnipräsenten Gefahren, Vorschriften und Verbote von Argentiniens christlich-patriarchalisch geprägter Gesellschaft, mit denen die Protagonistinnen altersabhängig in unterschiedlichem Maß konfrontiert sind. Der autobiografisch inspirierte Einblick in eine von stiller Trauer und vager Angst beherrschte Kinderwelt changiert von bestechender Originalität zu anstrengender Prätention. Atmosphärisch und ästhetisch reizvoll, dramaturgisch blass.

Autor: Lida Bach
Diese Seite verwendet Cookies. Akzeptieren.