7.3

MB-Kritik

Like A Complete Unknown 2024

Drama, Biography, Music

7.3

Inhalt

Angesiedelt in der einflussreichen New Yorker Musikszene der frühen 60er Jahre, folgt A COMPLETE UNKNOWN dem kometenhaften Aufstieg des 19-jährigen Musikers aus Minnesota, BOB DYLAN (Timothée Chalamet), als Folksänger zu Konzertbühnen und an die Spitze der Charts – seine Lieder und seine Mystik werden zu einem weltweiten Phänomen – und gipfeln in seinem bahnbrechenden elektrischen Rock-and-Roll-Auftritt beim Newport Folk Festival im Jahr 1965.

Kritik

Walk the Line war gewiss nicht das erste Biopic über einen Musiker, doch es setzte 2005 Maßstäbe und inspirierte eine Welle ähnlicher Filme. Einige davon wurden große Erfolge, während andere eher in Vergessenheit gerieten. Das wirklich Bemerkenswerte daran ist jedoch, dass nur zwei Jahre nach Walk the Line mit Walk Hard: Die Dewey Cox Story eine präzise Parodie erschien, die all die typischen Klischees und Tropen des Genres auf die Schippe nahm. Leider blieb diese Satire weitgehend unbeachtet, obwohl sie nahezu perfekt zeigte, wie formelhaft Musiker-Biopics oft sind. Eigentlich hätte Walk Hard das Ende dieses Genres markieren können, doch die Realität sah anders aus: Musiker-Biopics sind nach wie vor beliebt.

Nun kehrt Walk the Line-Regisseur mit Like A Complete Unknown erneut in dieses Genre zurück. Nach seinem biografisch geprägten und dynamischen Le Mans 66: Gegen jede Chance widmet sich Mangold diesmal dem rätselhaften Bob Dylan und nutzt dafür das Buch Dylan Goes Electric (2015) von Autor Elijah Wald als Vorlage, bzw. Leitfaden. Doch was seinen Rennfahrerfilm so mitreißend machte – eine klare, menschliche Perspektive und ein emotionaler Zugang zu den Hauptfiguren – scheint in Like A Complete Unknown zu fehlen.

Bob Dylan war schon immer eine schwer fassbare Figur: ein rastloser Künstler, der sich jeder klaren Definition entzieht. Sein Intellekt, gepaart mit seiner geheimnisvollen Aura, ließ ihn stets smarter und unnahbarer erscheinen als alle anderen – auch, weil er nie viel Aufhebens um seine eigene Person machte. Seit über 60 Jahren prägt er die Musikwelt, doch eine umfassende Erzählung über diesen Mann und seine Werke wäre für einen Spielfilm schlicht unmöglich. Daher konzentrieren sich Mangold und sein Co-Autor Jay Cocks (der unter anderem für ' zu Unrecht unterschätzten Silence das Drehbuch schrieb) auf die Jahre 1961 bis 1965 – eine Zeitspanne, die als die vielleicht prägendste Phase in Dylans Karriere gilt.

Der Film beginnt mit Dylans Ankunft in New York, wo er als 19-jähriger Folkmusiker im Greenwich Village Fuß fasst. Diese Epoche markiert seinen Aufstieg zur Stimme einer Generation, bis er schließlich beim Newport Folk Festival 1965 einen Wendepunkt in der Musikgeschichte herbeiführt. Es war der Moment, in dem Dylan eine elektrische Gitarre auf die Bühne brachte – eine Geste, die unter Folk-Puristen als Verrat galt. Sein Song „Like A Rolling Stone“ wurde von Teilen des Publikums ausgebuht, heute jedoch als Meisterwerk verehrt.

Diese Transformation von Folk-Idol zum provokanten Rock-Revolutionär ist der Kern des Films, doch Mangolds Inszenierung bleibt erstaunlich zurückhaltend. Der Dylan, den wir zu Beginn sehen, ist im Grunde derselbe, dem wir am Ende begegnen. Es gibt kaum Hinweise darauf, wie sich sein kreativer Prozess entwickelt oder wie er zu den revolutionären Entscheidungen kommt, die die Musikwelt erschüttern sollten. Dylan erscheint hier wie ein fertiges Genie, dessen Genialität keiner Erklärung bedarf.

Ein Vergleich mit ’ experimentellem Dylan-Film I’m Not There (2007) drängt sich auf: Dort wurde der Newport-Moment als Allegorie inszeniert, bei der Dylan und seine Band statt Gitarren Maschinengewehre aus ihren Koffern zogen und auf das Publikum feuerten – eine radikale Visualisierung der Provokation und des Befreiungsschlags, den dieser Auftritt symbolisierte. Mangold hingegen wählt eine konventionelle Erzählweise, die den Ereignissen zwar treu bleibt, sie aber kaum emotional auflädt. Statt Spannung oder künstlerischer Wucht bietet Like A Complete Unknown eher nüchterne Chronologie.

Das größte Problem des Films ist jedoch, dass er nie wirklich einen Zugang zur Figur Dylan findet. Der Dylan, den Mangold zeigt, bleibt ein Mysterium, und der Film wirkt wie ein unermüdlicher Versuch, das Rätsel zu entschlüsseln – ohne dabei neue Erkenntnisse zu liefern. Zwar gibt es Momente, die Dylans private Seite anzudeuten versuchen, etwa wenn bei einer Party ein altes Fotoalbum mit Bildern von Robert Zimmerman (Dylans bürgerlichem Namen) gezeigt wird. Doch solche Ansätze bleiben oberflächlich und führen zu nichts. Es scheint, als sei Dylan in Mangolds Film von Beginn an der unantastbare Maestro, fast so, als hätte Leonardo da Vinci die Mona Lisa ohne jede Vorbereitung gemalt.

Gespielt wird Dylan von , der nicht nur selbst singt, sondern auch eine durchaus beeindruckende Performance abliefert, die ihm möglicherweise eine Oscar-Nominierung einbringen könnte (dieser Text entstand gut eine Woche vor der der Bekanntgabe der Nominierungen). Seine Darstellung trägt den Film, auch wenn sie das Drehbuch nicht vollständig retten kann. Es gelingt ihm, Dylans Charisma und seine Widersprüchlichkeit einzufangen, ohne ihn zum Everybody’s Darling  zu machen. Doch auch das Talent von Timothée Chalamet kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Film in seiner Charakterzeichnung oft an der Oberfläche bleibt.

Die Nebenbesetzung überzeugt ebenfalls: gibt als Folk-Legende Pete Seeger eine bemerkenswerte Vorstellung, und die aus Top Gun: Maverick und Fubar bekannte glänzt als Joan Baez. Letztere empfiehlt sich hier für größere Hauptrollen, da sie nicht nur optisch, sondern auch darstellerisch überzeugt. Doch so gut das Ensemble auch ist, die Figuren bleiben, wie Dylan selbst, oft blass und unnahbar.

Was Like A Complete Unknown jedoch auszeichnet, sind die authentischen Bilder und die detailreiche Rekonstruktion der frühen 1960er-Jahre. Die Inszenierung fängt den Look und das Lebensgefühl der damaligen Zeit ein, ohne dabei nostalgisch zu werden. Dennoch bleibt die Frage, ob das ausreicht. Andere Filme, wie etwa die Coen-Brüder mit ihrem semi-fiktionalen Biopic Inside Llewyn Davis (2013), haben die Ära lebendiger und mitreißender dargestellt – und dabei erkannt, dass nicht jede Kultfigur bis ins Detail entschlüsselt werden muss, der Versuch aber durchaus interessant sein kann.

Am Ende ist Like A Complete Unknown weniger ein Film über Dylan als über die Folkmusik der 1960er-Jahre. Als historische Betrachtung ist Mangold ein respektables Werk gelungen, doch als Biografie eines Menschen bleibt es blass. Der Titel ist daher treffend: Dylan bleibt am Ende genauso unergründlich wie zu Beginn – ein Künstler, der sich der Erklärung entzieht und dessen Mythos gerade dadurch weiterlebt. Nur eben nicht in diesem Film.

Fazit

„Like A Complete Unknown“ überzeugt durch die akkurate Rekonstruktion einer prägenden Ära und eine nuancierte Besetzung. Dennoch gelingt es Regisseur James Mangold nicht, das komplexe Wesen Bob Dylans greifbar zu machen. Übrig bleibt ein bemerkenswert oberflächliches Biopic, das wenig ergründet und noch weniger aussagt.

Autor: Sebastian Groß