MB-Kritik

Tchaikovsky's Wife 2022

Drama, Biography

Alyona Mikhailova
Odin Lund Biron
Miron Fedorov
Yuliya Aug
Philipp Avdeev
Andrey Burkovskiy
Nikita Elenev
Ekaterina Ermishina

Inhalt

Die junge Antonina verliebt sich hoffnungslos in den aufstrebenden Komponisten Pjotr Tschaikowski, der sie aus pragmatischen Gründen heiratet. Als die Ehe nach wenigen Monaten scheitert und ihr gatte, der sowohl auf kreativer als auch amouröser Ebene andere Interessen hat, sich trennen will, steigert sich Antonina in eine gefährliche Leidenschaft.

Kritik

Irgendwann tut es nur noch Ausdruckstanz. Die manische Hass-Liebe, mit der die tragische Titelfigur (furios: Alyona Mikhailova) ihren genialen Gatten (Odin Biron) verfolgt, schraubt sich letztlich in solch hysterische Höhen, dass der bis dahin dominierende Zeitkolorit eines Historienstücks vollends kollabiert und der freien Form assoziativen Avantgarde-Theaters weicht. Bezeichnenderweise scheint Kirill Serebrennikovs (Petrovy v grippe) intuitive Inszenierung erst in diesen fantasierten Szenen eines Wahnsinns-Walzers angekommen am Ort ihrer Bestimmung: einem erotomanischen Traum-Taumel zu meisterhafter Musik. 

Selbige stammt von Antonina Tschaikowskis Ehemann, dessen sexuelle Orientierung vor der Cannes-Premiere per Lautsprecher durchgesagt wird. Sobald jemand nicht straight ist, wird die Sexualität biografisch zum definierenden Faktor. In paradoxerweise gilt dies auch für das in fiebrige Finsternis getauchte Beziehungsdrama. Pjotr Tschaikowskis Queerness wir ununterbrochen impliziert, aber nie gezeigt. Diese Unsichtbarkeit scheint mehr Symptom der diskriminierenden russischen Filmzensur als eine visuelle Metapher für die hartnäckige Verleugnung Antoninas. Deren Anhänglichkeit ist mehr als enttäuschte Zuneigung. 

In quasi-religiösem Eifer, den der Regisseur und Drehbuchautor mit der spirituellen Ekstase der prophetisch ins Bild gerückten betenden Bettler vergleicht, sieht sie ihr Liebesleid als eine göttliche Prüfung. Der ergibt sich die ebenso armselige wie arrogante Protagonistin mit sadomasochistischem Eifer, der sie immer weiter von der Realität entrückt. Die exzellenten Kostüme und Kulissen von schwarzromantischer Morbidität externalisieren den inneren Tumult einer Frau, die innerhalb einer ultrarepressiven Gesellschaft in der Selbstzerstörung eine perverse Erfüllung findet. 

Fazit

Düstere, delirierende Bilder und labyrinthine Szenenbilder, aus denen die gesundheitlich und geistig geplagten Figuren vergebens zu entfliehen suchen, entfalten eine hypnotische Wirkung, der sich das Publikum trotz gelegentlichen Widerwillens nicht entziehen kann. Kirill Serebrennikovs gewagte Komposition aus Kostümfilm, psychopathologischem Persönlichkeitsporträt und abstraktem Albtraum ist so forsch und ambivalent wie seine beeindruckend gespielte Hauptfigur. In deren fiktiver Interpretation prallen feministische Sozialkritik und sexistische Stereotypen aufeinander. Das Resultat ist eine faszinierende filmische Gratwanderung zwischen Groteske und Geniestreich.

Autor: Lida Bach
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