Inhalt
Das Schicksal einer verarmte Familie im Irland der 1920er Jahre scheint sich zum Guten zu wenden, als unverhofft eine große Erbschaft ins Haus steht. Doch dann verläuft alles ganz anders als erhofft…
Kritik
1929 inszenierte Alfred Hitchcock mit Erpressung den ersten britischen Tonfilm der Geschichte und auch heute noch ist sein Thriller nicht nur aus filmhistorischer Sicht absolut sehenswert. Mit der neuen Technologie eröffneten sich natürlich ganz andere Möglichkeiten für das Kino, doch ausgerechnet Hitchcock tappte bei seinem zweiten Tonfilm auch in eine kleine Falle dieser schönen, neuen Filmwelt. Für eben jene Arbeit entschied er sich für die Adaption des wenige Jahre zuvor uraufgeführten, inzwischen bereits außerordentlich erfolgreichen irischen Bühnenstücks Juno and the Paycock. Hitch sah es selbst im Theater, war beeindruckt und machte sich an eine Leinwandadaption des Stoffs. Dies war nun durch den Tonfilm natürlich wesentlich leichter als zu Stummfilmzeiten, da man nun nicht die Dialoge für Texttafeln sinngemäß komprimieren musste und sich somit voll auf die Stärken der Vorlage verlassen konnte. Was ihm praktisch zum Verhängnis wurde. Am Ende des Tages war sein Film sogar ein Erfolg und erhielt viel Lob seitens der Kritik, der Meister selbst war nicht nur wenig zufrieden mit der eigenen Umsetzung, sondern gab in dem berühmten Interview mit Kollege François Truffaut Jahre später sogar zu, sich gar dafür geschämt zu haben.
Hitch bemängelte, dass es ihm nicht gelungen sei, das Stück adäquat auf das Medium Film zu übertragen. Das alles Lob für seinen Film somit praktisch nur auf der grundsätzlichen Qualität des Stoffs und der Leistungen der Darstellenden beruhe, er aber selbst nichts Eigenes, nicht Essentielles dazu beigetragen hätte. Praktisch, als würde er sich mit fremden Federn schmücken. Und dieser sehr selbstkritische Vorwurf ist sicherlich nicht ganz falsch, denn letztlich ist Juno and the Paycock auch kaum mehr als abgefilmtes Theater. Zwar versucht Hitch durch gelegentliche Location-Wechsel (auf der Bühne spielte sich alles ausschließlich in der Wohnung der Familie ab) und verschiedene Kameraperspektiven mit den Möglichkeiten des Medium Film zu arbeiten, ein ernsthafter Mehrwert entsteht dadurch aber tatsächlich nicht. Vom handwerklichen Aspekt ist das grundsätzlich natürlich alles in Ordnung, eine explizite Handschrift des Mannes, der sich nur wenige Jahre später zu einem der kreativsten und innovativsten Regisseure der Geschichte entwickeln sollte, ist aber eigentlich kaum zu erkennen.
Trotzdem wurde der Film seinerzeit ja überwiegend positiv aufgenommen, doch auch inhaltlich hat das Stück – zumindest in dieser Inszenierung – deutlich Federn gelassen. Die Mischung aus anfänglichem Humor bis am Ende hin beinah erschlagender (um nicht zu sagen Holzhammer-)Tragik besitzt kaum Homogenität. Speziell in der ersten Hälfte wird sich zu sehr auf viel zu lange Szenen konzentriert, die die Geschichte nur schleppend voran bringen und aus heutiger Sicht nur bedingt komisch wirken, wohingegen der dramatische Part im Schlussdrittel beinah überhastet daherkommt und eigentlich keinen Raum zum atmen erhält. Da bleibt auch zu wenig Zeit für die Figuren, auch wenn die darstellerischen Leistungen durchweg anständig sind. Dabei hätte die Geschichte im Grundsatz wirklich viel Interessantes zu erzählen, in der dargebotenen Form erzielt es aber kaum noch Wirkung. Kurz danach widmete sich Hitchcock mit Endlich sind wir reich übrigens erneut einer Familie, die dem (dann vermeidlich und nicht tatsächlich) trostlosen Proletariat durch eine unverhoffte Erbschaft entkommt und dann doch scheitert, arbeitet dies aber wesentlich moderner, humorvoller und sarkastischer auf (auch wenn dieser Film ebenfalls in einigen Dingen wirklich nicht gut gealtert ist). Vielleicht war das auch der Versuch, nun doch eine eigene Version von Juno and the Paycock abzuliefern. Wie dem auch sei, wir alle können wohl sehr froh sein, dass er sich wenig später überwiegend auf das Spannungs-Kino konzentrierte und dieses mit der Zeit auf eine ganz andere Ebene hob.
Fazit
Ein weiterer Archiv-Hitchcock, der trotz gutem Feedbacks seiner Zeit heutzutage kaum noch Relevantes beizutragen hat und wohl ausschließlich aus Interesse am Master of Suspense (von dem es hier in dieser Hinsicht nichts zu sehen gibt) noch ein leichtes Grundinteresse generiert. Kann man aus dieser Warte mal gesehen haben, mehr drängt sich hier definitiv nicht auf.
Autor: Jacko Kunze