Alejandro González Iñárritu ist ohne Zweifel einer der fähigsten und interessantesten Regisseure unserer Zeit. Mit "Amores Perros", "21 Gramm", "Babel", "Biutiful" und zuletzt "Birdman" zauberte der Mexikaner bislang ohne Ausnahme großartiges Kino, jedem neuen Projekt von ihm darf somit mit großer Spannung entgegen gefiebert werden. Mit seinem sechsten Spielfilm "The Revenant", welcher teilweise auf wahren Begebenheiten beruht und auf der gleichnamigen Romanvorlage von Michael Punke basiert, wagt sich Iñárritu nun in ein für ihn gänzlich neues Genre, einem Mix aus Survival- und Rache Thriller.
Bereits 1971 wurde die Geschichte von Regisseur Richard C. Sarafian frei verfilmt, "Der Mann in der Wildnis" mit Richard Harris umriss die Geschichte bereits im Groben. An einer Neuverfilmung und Neuinterpretation sollten sich ursprünglich John Hillcoat ("The Road") oder auch Chan-wook Park ("Oldboy") versuchen, beide verließen das Projekt jedoch aus unterschiedlichen Gründen. Iñárritu sprang ein und blieb dran, zudem hielt er an von ihm gesetzte, harte Bedingungen gnadenlos fest. So erstreckte sich der Dreh über mehrere Monate, weit über der Zeit sonstiger Produktionen, und verlangte allen Beteiligten eine Menge ab. Nicht jeder machte den Spaß mit, einige verließen das Projekt, doch wer dabei blieb darf sich über das Ergebnis freuen, denn "The Revenant" ist in mehrerer Hinsicht spektakulär.
Iñárritu probiert sich gern stilistisch und technisch aus, Standard gibt es bei ihm nicht. Und das macht sich bereits in der Eröffnungsszene bemerkbar, wenn der Expeditionstrupp von einer Gruppe Indianer angegriffen wird. Statt es sich einfach zu machen, überall Schnitte einzubauen und mit wackelnder Kamera Dynamik vorzugaukeln, erleben wir einen groß angelegten Angriff, bei dem die Kamera ruhig und meist ohne Schnitte draufhält, während sich die Szenerie großartig choreographiert vor den Augen des Zuschauers abspielt. Dabei macht sich auch schnell bemerkbar, welchen knallharten Ton "The Revenant" anschlägt und mit welcher Brutalität das Geschehen gezeigt wird.
Doch setzt die Begeisterung nach dieser Szene nicht aus, "The Revenant" ist komplett durchzogen von stilistisch absoluter Schönheit. Zu verdanken ist das Emmanuel Lubezki ("Gravity", "Birdman"), dem wohl besten Kameramann Hollywoods, der es wie kaum ein anderer versteht, allein durch seine Bildkomposition und vielen Spielereien ein unglaublich kraftvolles Bilderlebnis einzufangen. Während des Drehs zu "The Revenant" verzichtete man z.B. komplett auf Studiolicht, lediglich natürliche Lichtquellen wurden für den Film verwendet. Bedeutete zwar einen erschwerten Dreh, da nur wenige Stunden Drehzeit täglich zur Verfügung standen, sieht im Endeffekt aber unglaublich stimmig und gut aus. Damit hat Lubezki in diesem Jahr gleich zwei beeindruckende Arbeiten abgeliefert, bereits "Knight of Cups" war visuell von purer Schönheit gekrönt.
Und somit sorgt das kreative Iñárritu-Lubezki-Gespann für ein fantastisches Filmerlebnis mit Szenen, die man so schnell nicht vergessen wird. Darunter auch der im Vorfeld viel diskutierte Kampf eines Bären mit Leonardo DiCaprio. Wie bereits von Fox offiziell verlautet, wird DiCaprio vom Bären nicht vergewaltigt. Macht die Sache für ihn aber auch nicht viel angenehmer, der Kampf ist derart brutal und intensiv, zudem auch technisch wieder großartig, da ohne Schnitt, in Szene gesetzt, dass er richtig unter die Haut zu gehen vermag.
Wie eingangs erwähnt ist "The Revenant" sowohl Survivalfilm als auch ein Rache-Thriller. Vor allem aber Ersteres, da die meiste Zeit über die Gefahren der Wildnis und der Natur den Charakteren schwer zu schaffen machen. Die eisigen Temperaturen, die wilden Tiere, fehlende Nahrungsmittel, umherziehende Indianer, stürmisches Wetter und natürlich eine ganze Reihe von schweren Verletzungen sorgen dafür, dass der Ausflug in die Wälder zum wahren Horrortrip wird.
Großes Lob verdienen die Schauspieler, die absolut alles geben und für die der Dreh sicherlich kein angenehmer Ausflug gewesen sein dürfte. Leonardo DiCaprio, dem man seinen Oscar schon seit Langem gönnt, da er jedes Mal Großartiges vollbringt und leider dennoch immer das Pech hatte, leer auszugehen, enttäuscht auch in "The Revenant" in keiner Weise. Dialoge gab es diesmal nur sehr wenige für ihn, seine Rolle ist eher auf physischen Qualen ausgelegt, die er beeindruckend portraitiert. Ob es ihm diesmal kriechend, keuchend und mit Wahnsinn in den Augen gelingen wird den Preis zu ergattern, wird sich erst noch zeigen, unverdient wäre es aber sicherlich nicht.
Auch der restliche Cast rund um Will Poulter, Domhnall Gleeson oder Tom Hardy geht in den Rollen voll auf, gerade Hardy macht einmal mehr deutlich, wie unglaublich stark er sein kann.
Trotz sicherlich noch kommenden Oscar-Pushs, seiner Qualitäten und der beteiligten Stars dürfte es "The Revenant" an den Kinokassen aber vermutlich schwer haben. Mit seinen 156 Minuten Spielzeit, durch sein R-Rating und generell durch das doch recht ruhige Pacing wird er wohl kaum ein Massenpublikum finden. Nicht jeder wird die für den Film nötige Geduld aufbringen, nicht jeder wird die esoterischen, surrealen Einschübe mögen. Und vergleichen mit den früheren Werken des Regisseurs wird möglicherweise auch der ein oder andere etwas inhaltliche Tiefe vermissen. Das eingegrenzte Publikum ist vor allem deswegen beunruhigend, da der Film stolze 135 Millionen Dollar gekostet hat, in etwa also so viel wie diesjährige Blockbuster wie "Ant Man", "Mad Max: Fury Road" oder "Mission Impossible - Rogue Nation". Ursprünglich war das Budget auf 60 Millionen Dollar ausgelegt, die Kosten sind aber während des Drehs explodiert und erreichten eine für Iñárritu bis dato unerreichte Höhe. "The Revenant" ist jedoch mehr Kunstfilm als typischer Mainstream, und zu speziell um jedem zu gefallen. Aber das gilt im Grunde für alle bisherigen Filme von Iñárritu. Deren Vorteil war jedoch, dass sie für weniger Geld produziert wurden.