Inhalt
Jersey, England. 1945. Grace, deren Ehemann nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs noch immer nicht von der Front zurückgekehrt ist, lebt mit ihren beiden Kindern Anne und Nicholas und einigen Bediensteten in einem unheimlichen viktorianischen Anwesen. Anne und Nicholas leiden an einer seltenen Krankheit durch die sie allergisch auf direktes Sonnenlicht reagieren. Das Haus muß daher stets in Dunkelheit gehüllt sein, um die Gesundheit der beiden nicht zu gefährden.
Kritik
Alejandro Amenábar (Das Meer in mir) erweißt mit The Others dem klassischen Haunted-House- und Suspensefilm die Ehre und kreiert so einen der wirkungsvollsten, nachhaltigsten Genrefilme des neuen Jahrtausends, der sich trotz unverkennbarer Inspirationsquellen und indirektem Zitieren von Filmklassikern nicht seine Eigenständigkeit nehmen lässt, obwohl es lange gar nicht danach aussieht. Gerade das macht ihn rückwirkend so clever konzipiert und lässt seine wirkliche Klasse eigentlich erst bei wiederholter Sichtung vollends erkennen. Rein formal ist hier von Anfang an alles auf höchstem Niveau, die Inszenierung ist so versiert, detailliert und eindrucksvoll stimmig wie bei den ganz großen seiner Zunft. So dicht wie der Nebel rund um das Anwesen der Stewarts ist auch die Atmosphäre von Amenábar, der mit ruhiger und fachkundiger Hand elegant durch den im ersten Augenblick so wohlbekannt anmutenden Plot führt.
Parallelen und Quervergleiche zu Klassikern wie Schloss des Schreckens von Jack Clayton oder Rebecca von Alfred Hitchcock sind bei Kenntnis dieser unvermeidbar und womöglich auch nicht ganz unabsichtlich. Zum einen durch die mysteriösen Vorfälle, begleitet von einem zunächst nur angedeuteten und nicht näher erläuterten innerfamiliären Konflikt, in dessen Mittelpunkt etwas zwischen Grace und ihren Kindern steht, zum anderen durch den viktorianischen Wohnsitz, der mit seiner omnipräsenten Aura fast eine Art Eigenleben entwickelt und vermuten lässt, dass er in seinen zum Teil verwaisten, weitläufigen Räumlichkeiten ein dunkles Geheimnis hütet und weit mehr zu sein scheint als einfach nur Kulisse. All das ist prächtig ausgestattet, mit enormer Präzision eingefangen, von einem wunderbar unaufdringliche Score (ebenfalls von Amenábar) unterlegt und dazu sagenhaft ausgeleuchtet. Wenn man es nicht besser wüsste, man könnte fast glauben, dass statt Scheinwerfen hier tatsächlich nur das Licht von Kerzen und Öllampen zum Einsatz kommen würde.
Die perfekte Illusion, maßgeblich beitragend zu der stillen Sogwirkung, die The Others von der ersten Minute an entwickelt und konsequent steigert, ohne sich jemals in hektische und aufgesetzte Schockmomente zu flüchten. Nicole Kidman (Big Little Lies) - noch vor dem Botox-Super-GAU und zweiten Karrierefrühling – verkörpert die ambivalente und undurchschaubare Grace mit voller Hingabe und Einsatz, lässt ihre Figur mit diesem extrem auf den Punkt gebrachten Spiel genau in der merkwürdigen Schwebe von Identifikationsfigur und doch irgendwie nicht greifbarem, offenbar innerlich zerissenen Muttertier, deren Verhaltensweisen und Charakterzüge für den Zuschauer nie gänzlich offen liegen. Was in ihr genau vorgeht, was sie antreibt und was sie so zerfrisst bleibt lange ein Geheimnis im Nebel, der sich erst im brillanten Schlussakt lüftet und dann erst erkennen lässt, was Amenábar eigentlich über 1 ½ Stunden für ein gewitztes Spiel mit seinen Figuren und dem Zuschauer betrieben hat.
Was „lediglich“ wie ein handwerklich großartiger Spukhausfilm nach üblichem Muster aussieht und selbst erfahrene Zuschauer mit einem genau überlegten Timing absichtlich in Sicherheit wiegt, zieht ihnen exakt dann den Boden unter den Füßen weg, als er den erwarteten Ablauf scheinbar aufgetischt hat. The Others ist ein taktisch enorm ausgeklügeltes Hantieren mit Sehgewohnheiten, Erwartungshaltungen und Perspektiven, welches ihn beim zweiten und dritten Anlauf noch sehenswerter macht, als er aufgrund seiner deutlichen Vorzüge ohnehin ist. Selten gibt es Filme, die nach der Schlusspointe nicht an Reiz für eine Neusichtung verlieren, sondern sie noch besser werden lässt. Die Nutzung bekannter Genre-Zutaten erweißt sich als viel mehr, als vorher zu erahnen war, viele kleine Einzelheiten bilden ein großes Ganzes, unauffällige Momente geben sich als wichtige Puzzleteile zu erkennen.
Fazit
"The Others" scheint „nur“ ein gut gemachter Genrefilm nach erprobter Mischung der alten Schule, ist in Wahrheit aber tatsächlich in Sichtweite mit den großen Vorbildern, welche letztendlich nicht kopiert werden, sondern nur im Ansatz Pate stehen. Viel zu abgeklärt und tiefgründig ist der Film in seiner eigentlichen Essenz, die er einem erst spät gänzlich ausbreitet. Ein menschliches Drama um Verzweiflung, Leid, Liebe, Schuld, Sühne, festhalten und loslassen, eingestehen und vergeben, akzeptieren statt verdrängen. Egal, wie grausam die Wahrheit doch ist. Umwerfend schön präsentiert, schaurig, spannend und traurig. Ein großer Wurf.
Autor: Jacko Kunze