„Don’t leave me tonight. Kill me too.“
Die Karriere des irischen Filmemachers Neil Jordan ist ein einziges Auf-und-Ab. Da gab es so wundervolle Highlights wie Die Zeit der Wölfe (1984), Interview mit einem Vampir (1994) oder auch den selten entsprechend gewürdigten Byzantium (2012), aber eben auch peinliche Gurken wie das starbesetzte Remake Wir sind keine Engel (1989. Damals einen Film mit Robert De Niro und Sean Penn so an die Wand zu fahren ist schon beachtlich) oder zuletzt den Stalker-Trash Greta. Dabei zieht sich durch viele seiner Werke doch so was wie ein roter Faden. Die Meisten berichten von Obsessionen, teilweise auch Personenkult. Einer nicht zu stillenden Sehnsucht und tragischen Beziehungsgeflechten. Mal sensibel und sorgfältig seziert, mal als abstruser Unfug neben die Schüssel geklatscht. Bei The Crying Game – Die Frau des Soldaten gelingt ihm sein vielleicht wertvollster Beitrag. Der sich abseits jedweder Genre-Schubladen – die er ab und an bewusst selber kurz öffnet und postwendend wieder schließt – nie konsequent kategorisieren lässt und einen wahnsinnig aufregenden, emotionalen Cocktail serviert, der noch lange nach dem Genuss noch innerlich nachwirkt.
„When A Man Loves A Woman“ erklingt, während die sensationelle Kameraarbeit von Ian Wilson zu ihrem ersten, bedächtigen Slow-Motion-Fahrt ausholt. Sie fängt einen Jahrmarkt ein, auf dem sich der britische Soldat Jody (Forest Whitaker, Auge um Auge) mit seiner Bekanntschaft Jude (Miranda Richardson, Sleepy Hollow) vergnügt. Ein harmonisches, unbeschwertes, tendenziell sogar romantisches Beisammensein – ein einziges Trugbild. Wie Vieles im weiteren Verlauf des Films. In Wahrheit wird Jody eiskalt in eine Falle gelockt und von IRA-Aktivisten entführt, um ihre Forderungen durchzusetzen. Einer der Männer ist Fergus (Jordan-Stammgast Stephen Rea, V wie Vendetta), der sich in den wenigen Tagen der Gefangenschaft allerdings viel zu sehr mit seiner Geisel beschäftigt. Die Männer werden praktisch Freunde und besonders Jody, der ja eh nichts mehr zu verlieren hat, vertraut seinem Gegenüber sehr intime Details an. Als die ganze Sache in einem Blutbad endet, gelingt nur Fergus die Flucht. In London versucht er einen Neustart. Mit einem einfachen Job auf dem Bau, befreit von dem Ballast des politisch-ideologischen Terrors, allerdings hat er noch eine selbstauferlegte, moralische Aufgabe: Jody’s große Liebe Dil (einzigartig: Jaye Davidson, Stargate) aufsuchen und ihr von dem Schicksal ihres Lovers berichten. Allerdings verliebt er sich auf den ersten Blick in die sinnliche Frau. So sehr, dass jegliche Vernunft oder das vorher so wichtige, geschulte Auge komplett aussetzt.
Fergus lässt alles hinter sich, was ihn bis dahin ausmachte. Erwacht in einer völlig neuen Existenz und gelangt schlussendlich an den Punkt, wo er aktiv alles hinterfragen muss. Mit den entsprechenden, extrem drastischen Konsequenzen. The Crying Game – Die Frau des Soldaten entpuppt sich als völlig unvorhersehbare, individuelle Kreuzung aus isolierten, aber nicht planlos aneinander gereihten Genre-Bausteinen und Arthouse-Kino, welche durch überraschende Entwicklungen und trotzdem glaubhafte Emotionen sowohl als Thriller wie auch als empathisch-melancholische Love-Story zu überzeugen weiß. Es ist die Geschichte eines Mannes, der alles aufgibt, woran er bis dahin unerschütterlich geglaubt hat. Der Seiten an sich, aber auch eben seinen Mitmenschen entdeckt, die er so noch vor wenigen Tagen nicht für möglich gehalten hätte. Und der sich seinen Gefühlen offen und ehrlich stellen muss, was ihn zu so manch unorthodoxen, bisher als niemals auch nur im Entferntesten in Erwägung gezogenen Entscheidungen zwingt.
Neil Jordan’s märchenhaft-poetische Ballade wurde seinerzeit nicht nur mit dem Oscar für das beste Drehbuch ausgezeichnet, er ist auch in allen anderen Belangen auf preisverdächtigem Niveau. Kamera, Musik, Schnitt und vor allem die fantastisch agierenden Darsteller: Alles erstklassig ohne Abstriche. Zu etwas ganz Besonderem macht ihn aber in erster Linie sein unkonventionelle, sicherlich auch leicht kontroverse, aber ungemein mitreißende und überraschende Geschichte. Tragisch, konfliktbeladen, kompliziert – und dennoch wahnsinnig romantisch. Ohne jeglichen Kitsch vorgetragen und selbst ohne klassisches Happy End irgendwie versöhnlich wie harmonisch abgerundet. Stand by your Man.