Inhalt
Die 27-jährige Taeko ist im Jahr 1982 eine Büroangestellte in Tokio. Obwohl ihre Familie sie zum Heiraten drängt, ist sie alleinstehend. Taeko, die schon seit ihrer Geburt in Tokio lebt, möchte die Großstadt für ein paar Tage verlassen und wegfahren, um sich ein wenig Urlaub zu gönnen. Ihre Schwester Nanako schlägt vor, dass sie die Familie ihres Ehemannes besuchen könnte, da dieser ursprünglich einer Bauernfamilie vom Land, der Präfektur Yamagata im Norden Japans, entstammt. Auf der Fahrt dorthin erlangt sie Erinnerungen an ihre Kindheit in der fünften Klasse der Grundschule wieder. Sie erinnert sich unter anderem an ihre erste Liebe.
Kritik
Der Name Studio Ghibli ist untrennbar mit Hayao Miyazaki verbunden. Kein Filmemacher sonst prägte das Bild des anspruchsvollen Anime so, wie der Mann hinter „Prinzessin Mononoke“ oder „Chihiros Reise ins Zauberland“. Doch außer Myazaki gibt es noch weitere Filmemacher, die dem Studio zu Weltruhm verhalfen. Isao Takahata ist einer von ihnen. Letztes Jahr noch mit „Die Legende der Prinzessin Kaguya“ für den Oscar nominiert, erreicht nun „Tränen der Erinnerung“ – ein Frühwerk aus den 90ern – den deutschen Markt.
„Tränen der Erinnerung“ ist ein weiteres, mustergültiges Beispiel dafür, was Anime sein kann. Nämlich mehr als bloße Unterhaltung, ein Film, der mit erwachsenen Augen gesehen werden sollte. Kinder dürften aufgrund der weitschweifigen Thematiken abgeschreckt bzw. nicht in der Lage sein, all das zu reflektieren. Takahata liefert eine vordergründig simple Geschichte rund um die Frau Taeko, die sich in der Großstadt Tokio nicht zuhause fühlt. Sie zieht für einige Tage aufs Land, trifft dort einen alten Freund und sinnt über ihre Kindheit nach. Im Grunde zeigt sich hier noch nicht die Besonderheit des Films. Es ist das, was Takahata aus der simplen Prämisse herausholt, was für Aufsehen sorgt.
Mit unheimlich viel Charme proträtiert er das Leben einer japanischen Familie in den 60ern. Das Essen einer Ananas wird für alle zu einem Erlebnis, die strengen patriarchalen Strukturen lassen Unterschiede zur heutigen Zeit offensichtlich werden. Takahata gelingt es mit wenigen Pinselstrichen die Figur Taeko zum Leben zu erwecken und dermaßen mit Leben zu füllen, das der Zuschauer ihren gezeichneten Ursprung völlig vergisst. Geschickt verwebt der Filmemacher die Zeitlinien der jungen und älteren Taeko, die immer noch auf der Suche nach sich selbst ist.
Im Zuge ihrer Selbstfindung findet Takahata sogar noch Zeit über gesellschaftliche Probleme seines Landes zu debattieren. Wenn Taeko zusammen mit ihrem Freund über biodynamischen Anbau spricht, wie die Landbevölkerung in die größeren Städte zieht und die Bauern um ihre Existenz kämpfen, ist das von Grund auf ehrlich. Der Regisseur hat ein Anliegen und nutzt seinen Film, um über das Problem zu sprechen. Ein wenig romantisiert und idealisiert er die Arbeit auf dem Lande dann doch, das bleibt aber in einem angemessenen Rahmen. Immerhin lernt der Zuschauer einiges über die Beschaffenheit Japans, die Aufforstung der Wälder und Felder. Dass Japan den steigenden Holzbedarf aber mit Importen aus dem Ausland deckt – die Umweltprobleme also in schwächere Länder auslagert – verschweigt der Filmemacher oder es ist ihm gar nicht bewusst.
Fazit
„Tränen der Erinnerung“ schadet das aber nicht. Im Herzen ist der Film eine wundervoll zurückhaltende Liebesgeschichte einer Frau auf der Suche nach sich selbst. Die weiterführenden Gedanken, das Gerüst drumherum ist Zugabe, die den Film noch zusätzlich bereichert. Ein sättigendes Werk, das sowohl Herz als auch Verstand anspricht. Die Japaner können es eben.
Autor: Niklas N.