Inhalt
Seine Frauhat eigentlich keine Zeit und die Tochter keine Lust. Trotzdem ist Thomas wild entschlossen, mit seiner Familie erholsame Skiferien in den Schweizer Alpen zu verbringen. Dass dieses Jahr auch noch Sarah, die Tochter seines Chefs, mitkommt, macht die Sache nicht einfacher. Die beiden Teenager bekommen Probleme mit der Dorfjugend. Als verantwortlicher Erwachsener müsste Thomas einschreiten. Stattdessen schaut er weg. Er behält seine gute Laune, auch als längst nichts mehr gut ist. So verstrickt er sich zusehends in einem Netz aus Lügen und Halbwahrheiten...
Kritik
Es ist doch immer wieder eine angenehmen Erfahrung, wenn man im Kino überrascht wird. Der schweizerische Film „Nichts passiert“, dessen Titel auf spektakuläre Weise trügt, ist eine solche Überraschung. Er handelt von einem nun trockenen Familienvater, der versucht ist, seine zumindest leicht eingeschlafene Ehe zu retten, seinen Chef zu beeindrucken und generell einfach Harmonie in seinem Leben zu finden. Als einen ruhigen, netten Mann bezeichnet Thomas sich hier ganz zu Anfang in einer Sitzung mit seiner Therapeutin. Erwidern tut sie darauf nichts, ihr Patient bleibt im Close-Up zu sehen. Ihm ist anzumerken, dass er ihn etwas Mühe kostet, diese Beschreibung selbst zu glauben. Er zweifelt an sich, an der Stärke seines inneren Engels (zufälligerweise der Nachname der Familie). Zweifelt daran, dass er nicht doch wieder zu den Fläschchen greift und dann in einem Anflug des Desinteresses Schaden entstehen lässt.
Diese einführende Szene des Films ist zwar nicht sonderlich originell, aber doch ein perfekter Startpunkt für die folgenden knapp 90 Minuten. Danach versucht Thomas nämlich alles, um seinem Selbstbild und Ziel gerecht zu werden. Er will ruhig und nett sein, er weicht Konflikten und Streit aus, möchte den Urlaub in den Alpen mit seiner Frau, Tochter und der Tochter seines Chefs möglichst angenehm und gesund überstehen. Vor traumhaften Kulissen scheint es zunächst so, als würde der Film sich auf die kriselnde Ehe konzentrieren - bis sich die Ereignisse überschlagen und die Welt um Thomas beginnt, sich immer schneller zu drehen. Er wird plötzlich gefordert, er muss schnell handeln, um mitzuhalten und den Überblick nicht zu verlieren. Und in jeder Sekunde wird dabei in dem tollen Spiel von David Striesow (der im allseits gefeierten „Zeit der Kannibalen“ zu sehen ist) deutlich, wie sehr er sich an seiner Aussage aus Szene 1 festklammert.
Er möchte nicht zurückgehen, nicht wieder von Null anfangen (wie oft er das wohl schon machen musste?) und ist deshalb eigentlich hauptsächlich am Jammern, am Beschwichtigen, am Klein beigeben und am Relativieren. Da offenbart sich nicht nur eine Ausweich-Kultur, sondern auch sein Bild von Freundlichkeit. Ein ruhiger netter Mann will er sein und denkt, dass das gleichbedeutend ist mit Profillosigkeit, mit der Anpassung an die Meinung anderer. Ja Schatz, du hast natürlich recht. Ja Schatz, ja ich weiß, das war schlecht. Jedoch weist nicht nur seine Ehe mehrere Konflikte auf. Mit der Zeit entsteht um Thomas herum ein wahres Netz aus Unsicherheiten und Variablen, die nur darauf warten, aufeinander zu prallen. Seine Tochter mag die Tochter seines Chefs nicht. Seine Frau mag die Anwesenheit des Besuches und seine passive Art nicht. Seine Tochter mag einen einheimischen Freund aus Kindheitstagen, der mag aber die Tochter des Chefs lieber. Thomas versteht irgendwann gar nichts mehr und wird wie eine heiße Kartoffel zwischen den Ebenen hin und her geschmissen.
Kulminieren tut das alles dann irgendwann, wenn Figuren die Grenze der Legalität überschreiten und die Beschuldigungen plötzlich keinen Spaß, kein Ungefähr und vor allem kein Ausweichen mehr zulassen. Jetzt gibt es nur noch Ja oder Nein, An oder Aus, Eins oder Null. Für Thomas die Hölle, obwohl es nicht primär um ihn geht in den Konfliktsituationen, zieht er sich selbst immer wieder mit hinein und sorgt damit für seinen eigenen Untergang. Er will eigentlich die Situationen entschärfen und sorgt so nur dafür, dass immer alles schlimmer wird. „Ich will jetzt zur Polizei.“ - „Willst du nicht vorher was essen?“ So manche Momente sind hier zum Schreien komisch, was vor allem dem überaus spannenden und dichten Drehbuch von Regisseur Micha Lewinsky zuzuschreiben ist. Der lässt nämlich seine Hauptfigur und ihr Selbstbild mit der Zeit gewaltig gegen die Wand fahren und das mit einer konsequenten Bravour, die man nicht alle Tage zu sehen bekommt.
Fazit
Natürlich kann man den Witz nicht auslassen: In „Nichts passiert“ geschieht eine ganze Menge. Micha Lewinsky hat ein tolles Drehbuch geschrieben und mit David Striesow einen erstklassigen Mann an Bord. Auch wenn die Inszenierung hier und da Defizite aufweist und die ein oder andere Szene eleganter hätte ausgeführt werden können; die Spannung ist nicht von der Hand zu weisen. Der Film saugt den Zuschauer ein, schüttelt ihn durch und schüttelt dann noch ein bisschen weiter, während ein Mann, der eigentlich nur zum Ziel will, mit jedem Schritt weiter davon wegkommt. Knackig spannend und immer wieder von erfrischendem Witz.
Autor: Levin Günther