Er war einer der bedeutendsten, einflussreichsten Musiker des Jazz, veröffentlichte im Laufe seiner Karriere über 100 Alben, förderte andere Talente und war trotzdem eine schwierige Persönlichkeit, die aufgrund von Drogenmissbrauch, Depressionen und anderen Verhaltensauffälligkeiten in die Schlagzeilen geriet. Schaut man sich die Laufzeit von schlanken 100 Minuten an, erscheint es zunächst etwas fragwürdig, inwiefern sich Miles Ahead adäquat mit einer solchen Legende, wie sie Miles Davis war und ist, auseinanderzusetzen weiß.
Genau hier offenbart sich die große Überraschung des Films, bei dem die Genre-Kategorisierung als "Biopic" ganz klar in Anführungszeichen gesetzt werden muss. Als Regisseur, Co-Autor, Mitkomponist des Soundtracks und Hauptdarsteller jongliert Don Cheadle (Hotel Ruanda) ebenso virtuos wie nebulös mit Zeitebenen und Fakten, so dass Miles Ahead Charakterporträt, Drama, aber auch eine universelle Betrachtung der durch die eigene Kreativität gequälten Künstler-Seele sowie flotter Gangsterfilm in einem ist. Cheadle beschäftigt sich nicht mit dem Aufstieg und Erfolg von Davis, sondern setzt ganz im Gegenteil bei dessen vermutlich problematischsten Lebensabschnitt an. Er zeigt den Musiker Anfang der 80er als heruntergekommenen Junkie, der seit fünf Jahren keine neuen Aufnahmen mehr veröffentlicht hat, Alkohol und Kokain in rauen Mengen konsumiert und körperlich sowie psychisch gebrochen in der eigenen Wohnung vor sich hin vegetiert.
Fixpunkt dieses Handlungsstrangs ist ein "Session Tape", auf dem sich die ersten musikalischen Lebenszeichen von Davis seit Jahren befinden, welche wenig überraschend für unterschiedlichste Parteien von hohem Interesse sind. Zusammen mit dem fiktiven Rolling-Stone-Reporter Dave Brill begibt sich der Musiker auf die Jagd nach dem Band, was zu einem turbulenten Plot führt, der wirkt, als sei er einem kriminellen Heist-Film entsprungen. Nie klammert sich der Film dabei an reale Begebenheiten, sondern nutzt eine größtenteils konstruierte Handlung, die sich am Wesen des exzentrischen Musikers entlang hangelt. Über fragmentarische Sprünge durch Erinnerungsfetzen verknüpft Cheadle das abgestürzte Dasein von Davis motivisch mit der Trennung von seiner großen Liebe und Muse Frances, eine Tänzerin, die alles für ihren Mann aufgab und trotzdem immer im Schatten des Künstlers verweilen musste, der sich in ihrer Abwesenheit mit Affären begnügte und irgendwann schlimme Wahnvorstellungen entwickelte.
Durch die hervorragend gelungene Retro-Ästhetik sieht Miles Ahead nicht nur aus wie ein Film aus den 60ern oder 70ern, sondern macht die einzigartige Atmosphäre des damaligen New Yorks, mit den verwinkelten, düsteren Straßenzügen und verrrauchten Bars, durch die ein pulsierendes Lebensgefühl strömt, persönlich spürbar. Aufgrund der experimentellen Montage, mit der wild durch Gefühlslagen, Bewusstseinszustände, Realität und Fiktion gesprungen wird, fühlt sich der Streifen außerdem selbst wie ein improvisierter Jazz-Song an, der unangepasst durch Genres, Mythen, Höhen und Tiefen führt.
Über allem thront allerdings Cheadle als Darsteller. Neben seiner bemerkenswerten Arbeit als mutig-unkonventioneller Regisseur zeigt er mit der Darstellung von Davis eine seiner bislang besten Leistungen. Er trifft das Aussehen und die raue, brüchige Stimme des Musikers nicht nur punktgenau, sondern verkörpert die reale, in ihren ganzen Facetten nie vollständig greifbare Persönlichkeit als ambivalenten Künstler, der als Ikone auf Bühnen geniale Trompeten-Soli spielt, während er sich im nächsten Moment zum instabilen Pulverfass wandelt, das auf Leute einschlägt oder kurz davor ist, sich selbst zu zerstören.