Man ist inzwischen geneigt, die Augen entnervt zu verdrehen, erreicht einen die Meldung, dass die Kinosäle in nächster Zeit mal wieder von einem Biopic verstopft werden. Grundsätzlich ist es ja ein interessantes Unterfangen, das Leben einer renommierten Persönlichkeit in filmischen Mustern widerzuspiegeln, zu spekulieren, zu interpretieren, zu rekapitulieren. Allerdings kommen diese Werke nur in den seltensten Fällen über den Punkt hinaus, die abträgliche Formelhaftigkeit des narrativen Schemas zu transzendieren. „Love & Mercy“ von Bill Pohlad hingegen genießt nun ehrenvollen exemplarischen Status dafür, dem Zuschauer den Glauben an dieses so einförmige wie plattgewalzte Genre zurückzubringen: Die Biografie über Brian Wilson, den Komponisten, Produzenten und zweite Leadstimme der legendären The Beach Boys, veranschaulicht ziemlich exakt, dass es in diesen Gefilden nicht um die erschlagende Fülle an Informationen geht, sondern vor allen Dingen um das plastische Porträt eines Menschen aus Fleisch und Blut.
Genau dort lässt sich die Stärke von „Love & Mercy“ entdecken: Bill Pohland, Michael Alan Lerner und „The Messenger – Die letzte Nachricht“-Regisseur Oren Moverman legen größtmöglichen Wert darauf, ein eigendynamisches Abbild des Brian Wilson zu entwerfen, welches durchaus etwas mit dem prominenten Vorbild zu tun hat, aber auch die künstlerische Eigeninitiative genießt, seinen Schauspielern die Freiheit zu geben, einen individuellen Weg zu finden, sich mit ihrer Rolle zu akklimatisieren. Und wir reden hier im Plural, weil wir uns auf zwei verschiedenen Zeitschienen bewegen, auf denen zwei famose Darsteller wissen, ihrer Vorstellung des Brian Wilson Leben einzuhauchen: Paul Dano („There Will Be Blood“) und John Cusack („Maps to the Stars“). Elementar für den Sehgenuss scheint es im Biopic, die engagierten Akteure nicht in einer offenkundige Mimikry versanden zu lassen. Es geht um das persönliche Gefühl, welches in einem intimen künstlerischen Prozess entwickelt werden muss, um mit dem Charakter zu verschmelzen.
Paul Dano, der Brian Wilson in den 1960er Jahren verkörpert, und John Cusack, der Brian Wilson in den 1980er Jahren gibt, sind nicht nur äußerlich als zwei vollkommen verschiedene Menschen angelegt. „Love & Mercy“ erzielt durch diese gegensätzliche Besetzung den Effekt, aufzuzeigen, welch harsche Veränderung Brian Wilson in diesem Zeitraum widerfahren ist. In Produktionstagen von „Pet Sounds“, einem der großen Studioalben der Popgeschichte, welches durch Wilsons experimentelle Klangerfahrungen so stilprägend für die Musikbranche geworden ist, erleben wir einen Brian Wilson, der noch in der Lage ist, mit seinen Bandkollegen zu spaßen, der schon ein wenig eigen in seinem Gebaren erscheint, aber gleichwohl passionierter Perfektionist bleibt, der sich vollkommen für die Musik, nicht aber für das Ego interessiert. John Cusack indes konturiert einen Brian Wilson, der Drogenabstürze hinter sich hat und durch die Behandlung mit Pharmazeutikern schon beinahe autistische Züge angenommen hat: Ein von seinem Psychologen Eugene Landy (Paul Giamatti, „San Andreas“) fremdgesteuerter Zombie.
„Love & Mercy“ fertigt eine ungemein feingliedrige Psychografie seiner Hauptfigur an, Bill Pohlad begnügt sich nicht damit, die obligatorische Genie-und-Wahnsinn-Plattitüde zu stimulieren, das Narrativ geht mühelos darüber hinaus und lässt jedwede tränenheischende Verzerrung in der Charakterbeschreibung hinter sich. Die Inszenierung findet einen ganz eigenen Rhythmus, ein vitales, von den Songs der Beach Boys motivisch katalysiertes Konstrukt, das sowohl ins dysfunktionale familiäre Gefüge blickt, sowie es den schöpferischen Drang eines Künstlers nicht nur als Segen definiert, sondern ebenso dessen destruktive Ausmaße für das innerseelischen als auch sozialen Komplex thematisiert. Brian Wilson ist ein so fragiler Mensch, dass er sich solang in sich selbst verlieren wird, bis nur noch die reine Liebe von Melinda (Elizabeth Banks, „Pitch Perfect 2“) ihn daran zu erinnern scheint, was es bedeutet, ein Leben außerhalb der quälenden Apathie zu führen. Und hier lässt sich ein kleiner Störfaktor im ansonsten tadellosen „Love & Mercy“ entdecken, ist die wie ein Stern in finsterster Nacht erstrahlende Figur der Melinda schlicht zu transparent in ihrer Erlöserfunktion gezeichnet.