MB-Kritik

Living Large 2024

Animation

Samantha Hahn

Inhalt

Der 12-jährige Ben ist gerade in die Pubertät gekommen und sein Gewicht, das ihm bisher nicht weiter gekümmert hat, wird plötzlich zum entscheidenden Faktor. Nicht nur für ihn selbst, sondern auch für sein Umfeld. Dass die anderen Kids sich über ihn lustig machen und seine Eltern rätseln, was sie gegen Bens Körperumfang tun können, ist noch nicht mal das Schlimmste. Eine rigorose Diät scheint der einzige Ausweg...


Kritik

I‘m hungry hungry hungry hungry for life“, singt der junge Held Kristina Dufokvás ambitionierten Animationsfilms in der vielversprechenden Eröffnungsszene. An deren psychosozialem und popmusikalischem Versprechen scheitert jedoch die pädagogische Puppentrick-Komödie. Die begleitet der schwergewichtige Protagonist zwar noch mit einigen Songs, aber keiner von davon lässt ähnlich doppeldeutig durchblicken, dass hinter dem exzessiven Essen des 12-jährigen Ben mehr steckt als Lust am und übermäßige Fixierung auf Leckereien. Ähnlich unschlüssig in seiner Analyse wirkt das Szenario.

Die auf Mikaël Olliviers semi-biografischem Roman gleichen Titels basierende Coming-of-Age-Story ist sichtlich bemüht, sich von gängigen Korpulenz-Klischees zu entfernen, nur um nach Bumerang-Prinzip mit voller Wucht dort zu landen. Etwa impliziert der Verweis auf seinen fettleibigen Vater und Großvaters genetische Faktoren und ein pathologisches Familienumfeld. Erstes wird jedoch zu falschen Vorbildern modifiziert, zweites reduziert auf Faktoren, die auch zahlreiche schlanke Kids treffen: geschiedene Eltern und eine überfütternde Großmutter. Mit der teilt Ben die Backleidenschaft. 

Dieses Talent und seine Musikalität machen den Protagonisten immerhin zum positiven Gegenentwurf des Stereotyps vom tollpatschigen Dicken, helfen ihm aber nur bedingt bei seinem Werben um die normschöne Klassenkameradin Klara. Um ihretwillen beginnt Ben eine Diät, die nicht nur seinen eigenen kulinarischen Konflikt aufdeckt, sondern den der Inszenierung. Selbige möchte offenkundig nicht Abnehmen als universellen Problemlöser darstellen, weiß aber insgeheim, dass in einer von Gewichts- und Gesundheitsdogmen bestimmten Gesellschaft dies nah an der Realität ist. 

Der mehr an leichter Verdaulichkeit als gewichtigen Themen interessierten Inszenierung fehlt trotz positiver Ansätze der Mut, unangenehme Wahrheiten anzusprechen und das allseits akzeptierte Konzept physischer Normideale zu hinterfragen. Wohlwissend, dass die Mehrheit des Publikums die repressiven Gesundheitsdogmen verinnerlicht hat, deklariert Petr Jarchovskys Drehbuch Fettleibigkeit als durch Willensschwäche und verursachten Fehler, den es zu beheben gilt, und zieht zudem eine fragwürdige Parallele zu Handicaps. Charmante Figuren und sorgsame Puppentrick-Animationen sind nur schwaches Gegengewicht der dramaturgischen Dialektik.

Fazit

Zu viel Motivation kann trotz bester Absichten in die falsche Richtung führen. Das zeigt nicht nur das Diät-Dilemma des zwischen seiner Liebe zum Essen und romantischer Sehnsucht zerrissenen Hauptcharakters, sondern Kristina Dufkovás ambivalentes Regie-Debüt. Dessen temporeicher Plot macht mit der Zentrierung einer fettleibigen Figur zwar einen wichtigen Schritt, verflacht das Thema toxischer Körperkultur und Essverhaltens als Teil sozialer Normen jedoch zugunsten eines Glücksversprechens reif für eine Slim-Fast-Reklame. Can‘t have your cake and eat it.

Autor: Lida Bach
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