Inhalt
Henry teilt sich mit seinem alten Knastkumpan Otis eine schäbige Wohnung in einem heruntergekommenen Viertel in Chicago. Was Otis weiß: Henry arbeitet tagsüber als Kammerjäger. Was Otis nicht weiß: so wie andere abends fernsehen bringt Henry in seiner Freizeit wahllos Leute um – einfach so, aus Langeweile und zum Zeitvertreib. Als Otis’ Schwester Becky dann aber überraschend einzieht, ist es vorbei mit dem schweigsamen Nebeneinander der beiden Männer. Henry öffnet sich zusehends und findet bald in Otis einen mehr als willigen Schüler. Von nun an ziehen die zwei gemeinsam mordend durch die Stadt und Becky ahnt nicht das Geringste…
Kritik
Es ist schon wie eine Art Auszeichnung. Gemeint ist die Indizierung, bzw. Beschlagnahmung eines Films durch den deutschen Staat. Jeder Film der auf einer entsprechenden Liste steht, umweht der Hauch der Verbotenen, des Bösen und des Tabubrechenden. Auch „Henry: Portrait of a Serial Killer“ war einer dieser Filme, über den auf Schulhöfen sich die wildesten Geschichten erzählt wurde. Nun ist der Film seit Sommer 2012 nicht mehr indiziert und ist mit einem roten FSK-Flatschen ungekürzt im Handel erhältlich. Stimmen die laut wurden, die behaupteten der Film wäre dennoch gekürzt, weil Gewalt fehlt irren sich und sind Opfer der Mystifizierung von „Henry: Portrait of a Serial Killer“ geworden. Denn das Regiedebüt von John McNaughton („Wild Things“) besitzt zwar überaus drastische wie auch unangenehm harte Szenen, doch ist der Film kein bloße Aneinanderreihung von Gewaltakten, sondern vor allem das, was der Titel suggeriert: Ein Porträt.
Das dieses nur in einigen Zügen mit dem des echten Serienmörders Henry Lee Lucas übereinstimmt, ist kein Geheimnis. Das macht der Film via Texttafel gleich zu Beginn selbst klar. Dennoch, McNaughtons Film verströmt Authentizität. Das liegt vor allem daran, dass „Henry: Portrait of a Serial Killer“ ein Ultra Low-Budget-Film ist. Gedreht wurde an Originalschauplätzen, die Darsteller waren meist Amateure, die Bilder sind körnig und die Szenen grob komponiert. Das kann man als billig bezeichnen, wird dem Drama aber nicht gerecht, denn es strotzt vor schmutziger, eruptiver Energie. Hauptdarsteller Michael Rooker („Guardians of the Galaxy“) überzeugt mit seiner beachtenswerten Performance als schweigsamer Serienkiller (die Dialogszene am Küchentisch mit Tracy Arnold als Becky ist schlicht und ergreifend großartig). Wenn man bedenkt, dass es Rookers erster Film war - beim Dreh von „Henry: Portrait of a Serial Killer“ arbeitete er noch als Hausmeister und trug sogar seine echte Uniform, die, so verlangte es sein Arbeitgeber, nicht schmutzig werden durfte beim Dreh – kann man ihn nur Beifall spenden, auch wenn sein Spiel, genau wie der ganze Rest des Films, alleine schon wegen seiner rauen Art, nicht nur viele Anhänger finden wird, bzw. schon gefunden hat.
„Henry: Portrait of a Serial Killer“ ist ein außergewöhnlicher Film. Sein ruppiger Stil erinnert an den Klassiker „Blutgericht in Texas“, sein Fokus geht am blanken Mordvoyeurismus vorbei und versucht stattdessen Killer Henry sowie seinen Kumpel Otis (Tom Towles, "Haus der 1000 Leichen") und dessen Schwester Becky zu charakterisieren. Zum einen als gefallene Seelen, ausgespuckt mitten in den Moloch einer Metropole, zum anderen aber auch als kontrollierte Bestien (Becky ist davon ausgenommen). Während Henry sein Böses kanalisiert und bei seinen nächtlichen Streifzügen auslebt, verkommt Otis immer mehr zur tickenden Zeitbombe. Das dieses Dreiergespann ein böses Ende nehmen wird, ist bereits im Vorfeld klar. Die Welt, von der „Henry: Portrait of a Serial Killer“ erzählt, lässt Hoffnung zu, nicht aber deren Verwirklichung. Am Ende gibt es nur Gewalt. Gewalt als Befreiungsakt sowie auch zur Erfüllung von Sehnsüchten und (verbotenen) Verlangen. McNaughton erzählt hier von einer Abwärtsspirale, die bereits ganz unten beginnt und es dennoch schafft noch weiter zu sinken. Das ist harter Tobak, so beeindruckend wie verstörend.
Fazit
Dieser angebliche Reißer hat auch 26 Jahre nach seiner Uraufführung nichts von seiner Wucht, Ungeschliffenheit und Sogwirkung eingebüßt. Ein unangenehmes wie fesselndes Werk, mit einem außergewöhnlich überzeugendem Michael Rooker ("She was a whore. My mama was a whore."). Kein Skandalfilm, sondern ein schonungsloses Porträt verdammter Existenzen.
Autor: Sebastian Groß