Inhalt
Der 12jährige Marty findet im Schrank seines älteren Bruders Steve einen abgetrennten Kopf. Offenbar ist Steve ein Serienkiller, inspiriert von den Horrorfilmen, die sie beide und auch ihr Vater so lieben.
Kritik
„Mein Bruder bewahrt einen Menschenkopf im Wandschrank auf. Alle paar Tage ist es ein neuer Kopf.“
Was kann man mit 8000 $ so machen? Sich einen soliden Mittelklasse-Gebrauchtwagen zulegen, eine Weltreise unternehmen, sich ein bis zwei Vorderzähne vernünftig sanieren lassen oder für notwendige Eigenheimreparaturen auf die hohe Kante legen, was wohl das Vernünftigste davon wäre. Man kann allerdings auch versuchen, damit einen Film zu drehen. Geht, auch mit weniger, aber einen Konkurrenzfähigen? Schwierig, besonders als Genrefilm. Found ist so ein mutiges Experiment und auch wenn Scott Schirmer natürlich an einige Grenzen stößt, respektabel ist dieses Himmelfahrtskommando allemal, birgt sogar so viel Potenzial, dass sich dezente Begeisterung und Ernüchterung schon wieder die Klinke in die Hand geben. Schafft nicht jeder, besonders nicht unter so erschwerten Bedingungen.
Jede Familie hat ihre gut gehüteten Geheimnisse. Kleine, individuelle schwarze Schafe oder gar große kollektive Leichen im Keller, wobei die Grenzen teilweise fließend sind und sich nicht mehr genau definieren lässt, wo das Eine aufhört und das Andere anfängt. Mama versteckt die Liebesbriefe verflossener Lover, Papa die Schmuddelhefte. So erlebt es auch der 12jährige Marty. In der Bowlingtasche seines großen Bruders Steve entdeckt er einen abgetrennten, menschlichen Kopf. Immer mal wieder einen anderen, Steve wechselt scheinbar gerne den Trophäenbeutel. Er registriert, dass sein Bruder offensichtlich ein Doppelleben führt, behält das Ganze aber lieber für sich. Denn wem sollte er es auch groß erzählen? Gut, die Polizei wäre eine Option, aber wir reden von einem 12jährigen, noch mehr Kind als Teenager, dessen soziale Kontakte und Integration sich als mangelhaft bezeichnen lassen. Der typische Außenseiter. Von den Gleichaltrigen gehänselt, von den Eltern einerseits streng, gleichzeitig aber auch lieblos bis gleichgültig nebenbei-erzogen, blickt er eigentlich nur zu Steve auf. Der mit ihm die Vorliebe für Horror-Videos teilt. Welche – speziell das besonders „perverse“ Exemplar Headless – ihn wohl um den Verstand gebracht haben. Ob es Marty genauso gehen wird? Und wie reagiert Steve, als er von Marty’s Mitwisserschaft erfährt?
Keine Frage, Found ist stellenweise schon (unfreiwillig) sperriger als er sein müsste und ihm grundsätzlich gut tut, ist offenkundig eine extreme Low-Budget-Produktion, die sich dafür aber recht ordentlich aus der Affäre zieht. Die Darsteller stammen unübersehbar alle aus dem Amateurbereich, gerade die Nebenakteure wirken meistens unbeholfen bis nicht tragbar, dafür wurde bei den wichtigen Gebrüdern ein gutes Casting-Händchen bewiesen. Defizitär orientiert bietet der Film genügend Angriffsfläche, die sich mal kaum, mal mit mehr Geschick vielleicht vermeiden ließe, von seiner Stimmung überzeugt dieser rohe, ungeschliffene Coming-of-Age-Schweinepriester aber erstaunlich präzise. Aus kindlicher Perspektive erzählt entwickeln solche Geschichten oft einen ganz speziellen Reiz, so auch hier, wenn mit dem Zwiespalt aus brüderliche Vorbildfunktion, Idealisierung und gleichzeitiger Furcht vor dem zweiten Gesicht gespielt wird („Das ist Steve, den ich in Erinnerung habe. Warum muss es einen zwei Steve’s geben?“), was der Film bemerkenswert konsequent auf die Spitze treibt, ohne dabei gänzlich die Bodenhaftung zu verlieren.
Mehr als nur ein interessanter Nebenaspekt ist die zeitliche Ansiedlung, die zwar nie einen konkreten Jahreszahl-Stempel erhält, aber in einer Handy, Computer und Internet-freien Zeit werden Horrorfilme ausschließlich und exzessiv auf VHS konsumiert, da entdeckt man sich als Kind der 80er unweigerlich selbst wieder. Wenn sich die Frage nach den Beweggründen stellt, mussten man damals (und teilweise heute noch) nicht lange diskutieren: Brutale Videos im Kinderzimmer sind der Nährboden allen Übels. Wer ungefiltert den ganzen Schund daheim konsumieren kann, wird in seiner Entwicklung nachhaltig geschädigt, Ego-Shooter gab es ja noch nicht. Das wirft auch Found als mögliches Motiv und inoffizielles Totschlagargument auf den Markt, nur um es (und da streckt der Streifen diesen gerne nach dem aktuellsten Amoklauf herbeigezogenen Hobby-Psychologen gallig den Mittelfinger ins Gesicht) auf eine extrem radikale Art zu entkräften. Sind es die Filme? Die Gene? Stetig eingehämmerter, „geduldeter“ Alltagsrassismus? Sexueller Missbrauch? Liebesentzug? Mobbing? Ausgrenzung? Eine gefährliche Messerspitze aus dem ganzen Topf, kräftig durchgerührt und am Ende will da noch jemand die Hauptzutat herausschmecken? Heuchlerisch, und genau da setzt Found auf ultra-radikale Weise die Daumenschrauben an.
Der Schlussspurt dieses mitunter etwas holperigen, nicht immer effektiv vorgetragenen Indie-Bolzen geht so direkt an die Nieren, da werden gar keine Gefangenen gemacht. Bretterhartes Terrorkino für Kopf, Auge und Ohr, das einem locker schlecht werden darf. Auf die gelungene Weise. Der Weg dorthin ist mal ordentlich gepflastert und mal etwas zu steinig, Stolpern ist fast unausweichlich, das Ankommen relativ gelungen, unter den Bedingungen ist das absolut okay. Und zum Teil verdammt verstörend.
Fazit
„Found“ ist alles andere als Mainstreamhorror, keine voyeuristische Splatterparade, aber auch kein richtig ausgereiftes Psychogramm; wirkt bemüht, subversiv mit dem richtigen Fragenkatalog im Hinterkopf, aber ohne die exakt auf den Punkt vorgetragene, individuelle Klasse. Bleibt aber dennoch ein hochinteressanter, kompromissloser und manchmal wirklich zerstörender, hingebungsvoller Low-Budget-Magenschwinger, der in manchen Situationen erkennen lässt, wie nah er sich an z.B. „I Am Not a Serial Killer“ oder sogar „Henry: Portrait of a Serial Killer“ anschleicht.
Autor: Jacko Kunze