Inhalt
Auf der Durchreise mietet der unauffällige, höfliche Vann das Gästezimmer eines Ehepaares und lässt sich kurzzeitig in einem verschlafenen Küstenstädtchens nieder. Die Einwohner nehmen in schnell auf, er bekommt einen Job und gewinnt das Vertrauen von Jedermann. Das mit ihm auch der Tod schleichend Einzug nimmt, wird lange keinem gewahr…
Kritik
Hampton Fancher scheint ein ungewöhnlicher Zeitgenosse zu sein. Man könnte ihn mühelos übersehen, denn eigentlich gibt er nur selten ein echtes Lebenszeichen von sich. Über 20 Jahre hielt er sich als Nebendarsteller in TV-Serien über Wasser, bis sein erstes Drehbuch gleich das zu einem zeitlosen Meisterwerk wurde: Blade Runner. Jawoll! Jetzt hast du es geschafft, Hampton, Glückwunsch…und nun? Es folgte 7 (!) Jahre später das Script zu dem wenig beachteten Krimi Big Bad Man mit dem damals noch ähnlich unbeachteten Denzel Washington. Dann lange gar nichts, dann dieser Film – The Minus Man, bei dem er das einzige Mal Regie führte, den niemand sehen wollte – und als Blade Runner 2049 letztes Jahr die Herkulesaufgabe eines als unmöglich geltenden Sequels mit Goldsternchen absolvierte, tauchte er wieder auf. Diese Phantom Hampton Fancher, auferstanden von wo immer er auch gesteckt hat, erneut mit diesem Geistesblitz aus der unbekannten Tiefe des Raums. Spulen wir mal zurück zu seinem Regiedebüt- wie Einzelkind, und was erkennen wir? Erstaunliche Parallelen, die in Bezug auf den Inhalt fast gruselig sind.
„Ich komme mir vor wie ein Licht in der Finsternis. Sie kommen zu mir wie die Motten. Weil ich leuchte.“
Denn auch Vann (Owen Wilson, Zoolander) fällt selten auf, wird wenn eher positiv wahrgenommen, warum auch nicht? Ein ruhiger, dabei aber nicht unheimlicher Kerl. Bescheiden, zuvorkommend; schlagfertig ohne dabei aufdringlich, hämisch oder selbstdarstellerisch zu wirken. Jemand, der sich bewusst nicht aufzwingt, aber dem man sofort akzeptiert und fast sonderbar schnell vertraut, weil er so unschuldig, nett und diskret auftritt. Der selbst zwar eine traurigen Ballast mit sich rumzuschleppen scheint, dennoch oder deshalb aber ein guter, da nicht bewertender oder gar belehrender Zuhörer ist. Die Schulter zum Ausheulen, der Nachbar zum Biertrinken, der Kollege für den netten Schnack zwischendurch. Einfach eine gute, eine verständnisvolle und angenehme Seele. Leider ist er ein Serienkiller, was niemand bemerken kann oder will. Er taucht aus dem Nichts auf, keiner hinterfragt mehr als er selbst preisgibt. Niemand bringt ihn in Verbindung mit den tragischen Unglücksfällen im Umkreis, dafür beherrscht er sein Spiel aus gesichtslosem Gespenst und Best-Buddy zu gut. Oder viel mehr beherrscht es ihn.
„Du suchst dir nicht immer aus was du tust. Manchmal sucht sich die Sache dich aus.“
In The Minus Man erschleicht sich Hampton Fancher auf eine gleichwohl angenehme wie beunruhigende Art sowohl die Sympathie vom Zuschauer wie sein Anti-Held die der Nebenfiguren. Erzwingt eine verstörende Empathie für einen sanften, deshalb nicht minder (ganz im Gegenteil!) gefährlichen Todesengel, der selbst im inneren Zwiespalt mit seinen grausamen Taten und der ersehnten, kleinbürgerlichen Idylle steht. Sein Monster so gut es geht auch vor sich selbst verharmlost und relativiert („Ich habe nie jemanden Gewalt angetan. Nur immer das Minimum von dem was nötig war. Sie schlafen einfach ein“), unterbewusst natürlich gewahr, dass er nun mal ist, was er ist. Egal wie behutsam oder „vernünftig“ er es versucht unter verlogener Kontrolle zu halten. Owen Wilson überrascht mit seinem minimierten, aufs Wesentliche konzentrierte Spiel, der wahre Star bleibt aber der echte Minus Man Hampton Fancher.
Sein Gefühl für die nie überkochende, aber teilweise enorm beklemmende Stimmung. Seine pointiert-überlegten Dia- und (besonders) Monologe; seine gespenstisch-konkrete, glaubhafte Charakterzeichnung eines gestörten, aber nicht lustvoll-bösen, eher tragisch-flehenden Geistes. Alles erzählt als ruhige, sehr überlegte und in seinem Mikrokosmos unabdingbar glaubwürdige Kleinstadtballade aus der Sicht des zugereisten Schreckgespenstes, die am Ende geschickt-doppeldeutig Fragen offen lässt und so wunderbar „schicksalhaft“ entlässt wie sie beginnt. Links oder rechts? Spontane Entscheidungen mit fatalen Auswirkungen.
Fazit
Ein ganz feiner, stiller und dezenter Serienkiller-Film, der nahezu jedes Klischee umgeht und gerade dadurch sehr glaubhaft erscheint. Es muss nicht immer alles auf einen klaren Höhepunkt hinauslaufen. Es sind diese kleinen, fiesen Nadelstiche; diese eben NICHT-Routine im Umgang mit einer solchen Situation; diese Zufälle und Willkürlichkeiten; diese verstörenden Grauzonen, die alles viel realer erscheinen lassen, als es uns das Genre oft vorgibt. Dieser Film hat leider die Erscheinungsform seiner Hauptfigur übernommen. Wie ein Parasit unter der Haut. Effektiv, bösartig, aber so unbemerkt, dass er dadurch kaum überleben kann. Schizophren. Sorgfältig hinhören, dann wird aus leisem Hämmern vielleicht ein kleiner Hammer.
Autor: Jacko Kunze