Inhalt
Eva Beling hat sich in den schwedischen Filmarchiven auf die Suche nach queeren Geschichten, Figuren und Momenten gemacht - und eine ganze Schatztruhe geborgen, mit der sie die Entwciklung von den Anfängen mit "Ikraus" (1916) von Mauritz Stiller über Greta Garbo, Ingmar Bergman und "Tabu" (1977) von Vilgot Sjörman bis zu Filmen wie "Something Must Break" (2014) und "Als wir tanzten" (2019) nachzeichnet.
Kritik
Eva Belings inszenatorisch recht formelhafte Dokumentation zeigt ein aus Archivmaterialen und Interviewsequenzen zusammengesetztes, sich stets weiter entwickelndes kinematographisches Zeitbild von Stummfilmklassikern Mauritz Stillers bis zu schwedischen Filmproduktionen der Gegenwart. Vorurteil und Stolz ist eine überwiegend chronologische Aufbereitung queerer Kinogeschichte Schwedens und eine Fundgrube an Filmausschnitten, Hintergrund- und Produktionsdetails, die Geschlechterrollen und heteronormative Vorstellungen im Film aushebeln.
Die Spuren liegen oft im Verborgenen. Herausgestellt werden sie von einer Vielzahl an Filmschaffenden, Wissenschaftler*innen und Archivar*innen, die die gesellschaftlichen und filmhistorischen Entwicklungen mit persönlichen Erfahrungen ausbauen. Expert*innen wie Laura Horak, Louis Wallenberg, Regisseurin Andrea Weiss und viel weitere dechiffrieren Figurenzeichnungen und Bildebenen und ergänzen Sichtweisen auf bis zu 100 Jahre zurückliegende Filme. Ins Zentrum rücken Ikonen wie Greta Garbo (Romance, Anna Karenina) und Ingmar Bergman (Das Schweigen, Die Stunde des Wolfs) ebenso wie modernere Filmbeiträge wie Lukas Moodyssons Regiedebüt Raus aus Amal. Stolz und Vorurteil verbindet dabei Einblicke ins Privatleben einzelner Filmschaffender, das Hinterfragen von Charakterisierungen und zurückgebliebene Drehbuchentwürfe, stichhaltige Vermutungen und verschiedene durch Kostümierung und Inszenierungsweisen ausstehende Interpretationen.
Immer verflochten mit dem cineastischen Blickwinkel: die Gesellschaft und Zeit, in welcher die Filme und Geschichten entstanden. Gleichwohl der Fokus auf der Chronologie diverser bekannter und unbekannter Filme liegt, zeichnet sich ebenso eine Chronik der gesellschaftspolitischen Lage queerer Menschen in Schweden ab. Vorurteil und Stolz ist nicht allumfassend, versucht mit einzelnen Fokussen auf Emanzipationsbestrebungen der Frau, Geschlechterrollen oder trans* Menschen im Film vielfältige (ehemals) marginalisierte Gruppen einzubeziehen.
In stringenter Mischung seiner einzelnen Bestandteile und ohne narrative oder inszenatorische Experimente erzählt der Dokumentarfilm viele Geschichten unterdrückter Lebensweisen und andauernder, mal verdeckter, mal weniger verdeckter Bemühungen zur Veränderungen. Zur Sprache kommt das nicht nur in Interviewschnipseln, sondern oft durch die Filmausschnitte selbst. Die Bedeutsamkeit der Repräsentation liegt seit den ersten Spielminuten als roter Faden zwischen den Zeilen und wird besonders deutlich, wenn Menschen über ihr Coming-out sprechen. Einen Schlusspunkt findet der Film dann gleich in mehrerlei Hinsicht: erfreut, über die gegenwärtigen, nicht nur im schwedischen Kino anzutreffende Entwicklung zu einer facettenreicheren Repräsentation und gleichzeitig mahnend, sich nicht zu früh mit den Errungenschaften zurückzulehnen.
Fazit
„Vorurteil und Stolz“ zeigt queere Filmgeschichte in der Verbindung von allerlei (archivierten) Filmaufnahmen und Interviewsequenzen. Ein abwechslungsreiches, wenngleich zweckmäßig inszeniertes Abbild einer steinigen Entwicklungen.
Autor: Paul Seidel