Inhalt
Ausgerechnet wegen einer Blinddarmentzündung und ausgerechnet in der Notaufnahme trifft die 22-jährige Claudia auf Martha, die im Bett neben ihr liegt. Als Martha Claudia nach ihrer OP einsam nach Hause gehen sieht, lädt sie die junge Frau in ihr Heim ein, das von vier Kinder und einer unendliche Lebenslust geprägt ist. Nach kurzem Zögern willigt Claudia ein, vielleicht ahnend, dass diese Entscheidung ihr Leben verändern wird. Ohne großes Aufheben wird Claudia Teil von Marthas eigenwilliger, turbulenter Familie, in der sie erstmals Zusammenhalt, Spaß und gemeinsame Mahlzeiten erlebt. Doch Marthas Krankheit stellt ihre Kinder immer wieder vor Herausforderungen, denen sie mehr oder weniger gewachsen sind. Und so sieht sich Claudia erstmals vor die Aufgabe gestellt, Verantwortung für Menschen zu übernehmen, denen sie sich nah fühlt.
Kritik
Vorweg gesagt: Es gibt keinen einzigen Katzenfisch in diesem Film. Es gibt aber einen Goldfisch namens Timothy, und der teilt sich sein Aquarium mit einer vergnügten asiatischen Winkekatze.
Wie eine Katze im Aquarium mag sich auch Claudia (Ximena Ayala) fühlen. Eigentlich ist die junge Frau eine Einzelgängerin, die isoliert von allem wirkt, egal, ob sie schweigend die lilafarbenen Fruitloops aus ihrem Frühstück sammelt oder unbeholfen im Supermarkt Würstchen verkauft. Doch als eine Blinddarmentzündung Claudia ins Krankenhaus zwingt, lernt sie dort die vierfache Mutter Martha (Lisa Owen) kennen, die an AIDS leidet. Weil Martha mitbekommt, wie Claudia frisch operiert ganz allein nach Hause gehen will, lädt sie sie energisch zu sich nach Hause ein. Was als einmaliges gemeinsames Mittagessen beginnt, entwickelt sich schnell zu mehr: Irgendwie bleibt Claudia in der bunten, quirligen Familie hängen — und wird zaghaft ein Teil davon.
»Der wundersame Katzenfisch« ist dabei ein Film, der seinen Fokus auf die Figuren und ihre Beziehungen untereinander legt. Da ist Marthas älteste Tochter Ale (Sonia Franco), von Horoskopen überzeugt, überfordert mit ihrer Verantwortung und gerade auf dem Weg in eine eigene Romanze. Da ist die übergewichtige Wendy (Wendy Guillén), die sich für alternative Heilmethoden begeistert und gleichzeitig selbstmordgefährdet ist. Schließlich die pubertierende Mariana (Andrea Baeza), die kleptomanische Tendenzen hat und nicht nur mit Schminke gern ihre Grenzen austestet. Schließlich der Jüngste, Armando (Alejandro Ramírez-Muñoz), der Bettnässer ist, verantwortlich für die Wäsche und voller Neugier für die wesentlichen Fragen: »Wie geht Küssen?«
Alle vier Kinder versuchen irgendwie, mit der Erkrankung ihrer Mutter und dem unausweichlichen Ende klarzukommen. Claudia, wortkarg, scheu und in sich gekehrt, wirkt in dieser Umgebung zunächst tatsächlich so fehl wie eine Katze im Aquarium. Dabei sind ihr Zögern und Unbehagen jederzeit deutlich spürbar, denn Darstellerin Ximena Ayala gelingt vieles ganz unaufdringlich über Blicke und bloße Präsenz. Stück für Stück wächst Claudia in die bunte Familiengemeinschaft hinein, übernimmt nach und nach eigene Aufgaben und gibt zumindest der herzlichen Martha gegenüber immer mehr von sich preis — am wichtigsten aber mag sein, dass sie zugleich für die ungleichen Geschwister Ansprechpartnerin und Vertraute wird.
Obwohl es gerade im Alltag von Marthas Familie oft laut und trubelig zugeht, ist »Der wundersame Katzenfisch« insgesamt doch ein sehr ruhiger Film, für den man sich Zeit nehmen muss. Es dauert lang, bis das erste Wort auf der Leinwand gesprochen wird, die ersten Einstellungen gehören ganz Claudias einsamem, wortlosem Alltag. Dieses ruhige Erzähltempo verlässt der Film über seine gesamte Länge nicht. Und es lohnt, sich darauf einzulassen, denn viel Zauber liegt in den Details. Vieles, gerade, was die Charakterisierung der Figuren betrifft, spielt sich ganz leise und unauffällig ab, wird nicht erklärend plattgewälzt, sondern passiert eben einfach. Das gilt auch für Nebenfiguren wie Claudias gestylte Chefin im Supermarkt: Da lassen beiläufige Kameraeinstellungen erkennen, dass hinter diesen Gestalten noch eine ganz eigene Geschichte steckt. Klug inszenierte, aber unaufdringliche Tiefe, die dem Film gut tut.
Gleichzeitig hat »Der wundersame Katzenfisch« durch diese Gelassenheit auch lange Mühe, erzählerisch in Fluss zu kommen, und es bleibt über weite Strecken eine Distanz zu den Figuren — was sicherlich auch Claudias Perspektive geschuldet ist. Immer wieder fängt die Kamera sie ein, wie sie unschlüssig am Rande steht, wie ihr wieder bewusst zu werden scheint, dass sie noch lange nicht dazu gehört. Zweifel, die sie nie ausspricht; Claudia macht keine unnötigen Worte. Es ist somit auch nicht immer einfach, nachzuvollziehen, wie dieses in sich zurückgezogene Mädchen es schafft, tatsächlich das Vertrauen der einzelnen Familienmitglieder zu gewinnen. Doch letzteres ist dafür immer ganz behutsam in Szene gesetzt, lieber leise als laut. Manche Konflikte erscheinen beinahe eine Spur zu sanft erzählt, zu unauffällig, sodass man sich hier klarere Worte und eine pointiertere Ausarbeitung wünschen könnte. Auf der anderen Seite aber spiegelt das genau die Zustände in der porträtierten Familie: Wo die eigene Mutter todkrank ist, bleibt keine Zeit, die Schnittwunden an den Armen der Schwester zu bemerken. Zwar kämpft Martha immer wieder um Routine und Normalität, beweist im Zweifel auch einen sicheren Blick für die Befindlichkeiten ihrer Kinder — doch mit fortschreitender Zeit fehlt dafür immer mehr die Kraft.
Humorvolle Momente gibt es in diesem Film auch, aber auch sie sind eher leise und nachdenklich. Keine Schenkelklopfer, kein Brachialhumor, sondern eher ein sanftes Lächeln sollen sie entlocken — eines, wie es Claudia im Laufe des Films langsam lernt. Sie wird in eine Familie hineingeworfen, in der einerseits die Normalität eines chaotischen Familienlebens zu herrschen scheint — und andererseits immer wieder durch Marthas Krankheit bedroht ist. Auch darüber spricht kaum jemand, es braucht dafür vertrauliche, verletztliche Momente. Wie jenen Abend am Strand, an dem der kleine Armando plötzlich den Tränen nahe ist, als seine Mutter wieder einmal vom Tisch zur Toilette gebracht werden muss: »Warum muss das immer wieder passieren?« Auch in der Tragik wird der Film aber niemals effektheischend. Stattdessen zeigt sich, wie gut er insgesamt durchkomponiert ist, wie fast jedes Detail seinen Sinn erfüllt und vorbereitete Motive im rechten Moment wieder aufgegriffen werden. Überraschende, plötzliche Wendungen gibt es beim wundersamen Katzenfisch eher nicht.
Und gegen Ende wird mit einem Mal klar, dass der Film trotz oder gerade mit seinem distanzierten Blick auf liebenswerte Charaktere funktioniert und eine Nähe entstanden ist, die überrascht. Bis zur letzten Szene bleibt »Der wundersame Katzenfisch« zurückhaltend, leise und, getragen von Marthas Stimme, immer mit einem Lächeln auf den Lippen. Jedermanns Sache wird dieser Film mit der Winkekatze im Aquarium sicher nicht sein, dazu ist er insgesamt zu sehr wie Claudia: Man muss beiden entgegengehen und sich auf sie einlassen. Tut man das aber, dann lohnt es sich.
Fazit
Eigenwillige, aber liebenswerte Tragikomödie um eine Familie und eine Einzelgängerin, die zwischen Trubel und ruhigen Bildern ihren Weg zueinander finden müssen. Das besonders ruhige Erzähltempo sorgt für kleine Längen und macht es dem Zuschauer nicht immer einfach, doch die liebevolle Figurenzeichnung, der Blick für Details und die durchdachte Kameraführung wiegen das wieder auf.
Autor: Sabrina Železný