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Als einsamer Drogenkurier ist Amir nachts auf den Straßen der iranischen Hauptstadt Teheran unterwegs. In mehreren Episoden trifft er auf eine überwiegend junge Kundschaft, die er mit dem nötigen Stoff versorgt, und leistet ihr Beistand.
Kritik
Grenzen hat der Regisseur Ali Ahmadzadeh mit Critical Zone in mehrerlei Hinsicht überschritten: Er schaffte es, seinen Film über jene des Iran hinaus zu bringen und zwar zuerst für die Weltpremiere beim Locarno Film Festival im vergangenen Jahr. Die iranischen Behörden versuchten daraufhin, die Ausstrahlung zu unterbinden. Obendrein hielten sie Ahmadzadeh im Iran fest, er konnte nicht bei der Vorstellung anwesend sein. Dass Critical Zone den Hauptpreis – den goldenen Leoparden – bei der 76. Auflage des Festivals gewonnen hat, ist natürlich auch eine politische Botschaft seitens der Festivalleitung: Eine Geste der Unterstützung an all diejenigen, die im Zuge des Todes von Mahsa Amini in Polizeigewahrsam im Jahr 2022 auf die Straße gehen und gegen das Mullah-Regime protestieren. Und weiterhin bedrückend wie entsetzlich ist diese Führung zu Gange mit ihrer Exekutive in Form der durchgreifenden Sittenpolizei – jüngst in einem Videoclip zu sehen über eine Studentin, die in Unterwäsche in den Widerstand tritt, und kurze Zeit später mit Gewalt in ein Auto gezerrt worden ist. Ihr Schicksal ist ungewiss, man ist aber beinah dazu geneigt, dessen weiteren fürchterlichen Verlauf ausmalen zu können.
Den goldenen Leoparden konnte Ahmadzadeh nicht entgegennehmen, derzeit ist er dem Verleih W-Film zufolge untergetaucht. Auch ein Großteil des Casts und der Crew floh aus dem Land – mit ziemlicher Gewissheit, dass der behördliche Apparat sie sonst auf Schritt und Tritt verfolgen würde. Das liegt unter anderem an der fehlenden Drehgenehmigung für Critical Zone. Dafür reicht ein Blick auf die oben erwähnte Kurzfassung des Films. Da läuteten bei den iranischen Behörden wahrscheinlich schon alle Alarmglocken, bevor Ahmadzadeh mit der Vorstellung seiner Filmidee überhaupt fertig war. Gedreht hat er seinen Film trotzdem, die auferlegten schöpferischen Einschränkungen von außen umgeht er mühelos mit versteckten Minikameras innerhalb eines Kleinwagens – welcher der Dreh- und Angelpunkt der Handlung ist.
Dabei erinnert die Filmidee kurioserweise an den ebenfalls iranischen Streifen „Chevalier Noir“ aus dem vergangenen Jahr. Auch hier ist ein Drogenkurier auf den Straßen Teherans unterwegs. Wenngleich die Geschäfte mit dem Rauschmittel den weiteren Verlauf der Geschichte absehbar zeichneten, konnten Zuschauer:innen einen Einblick in die wohlhabende, aber auch merkwürdig isolierte Schicht von jungen Erwachsenen erhalten. Hier und da konnte man den Drahtseilakt des Regisseurs Emad Aleebrahim-Dehkordi in den andeutenden Dialogen spüren, etwa mit einer in Paris lebenden Iranerin und ihrer Stippvisite in der Hauptstadt. Zwischen den Zeilen brodelte es und die Behörden wägten sich vermutlich in der Annahme, dass der abgebildete Wohnstand vom Blick auf die Gegenwart ablenkte.
In Critical Zone hingegen taucht Ahmadzadeh in diesen brodelnden Kessel in Teheran förmlich hinein. Geschäfte mit sowie die Teilhabe an den Drogen gibt es reichlich zu sehen. Tüten, Cannabis-Muffins und Koks für Lines, nahezu das volle Programm wird hier aufgefahren. Auf die Teilhabe legt der Regisseur mehr Wert, denn der Kleinwagen, mit dem der Drogenkurier Amir (Amir Pousti) durch die Gegend cruist, wird zur Komfortzone für die Kunden – die Ware gibt diesem Bereich die nötige Flexibilität. Das Motto des Films lässt sich mit dem englischen Verb „zone out“ trefflich beschreiben – auf Deutsch: mit den Gedanken woanders sein.
An subtilen Anspielungen ist der Regisseur überhaupt nicht interessiert. Ein eingangs gefilmtes Auto mit der Aufschrift „Ambulance“ – aus dem zwei Männer mehrere Säcke mit Hilfsgütern abladen – dient als metaphorischer Antriebsmotor für die kommende episodenhafte Handlung. Und auch die Kundschaft entspricht gar der Altersgruppe, die den Widerstand seit 2022 prägt: junge Erwachsene, insbesondere Frauen – zum Beispiel eine Helferin in einem Pflegeheim für Senioren oder eine Frau, die auf dem Weg zum Teheraner Flughafen ist.
Ahmadzadeh experimentiert erfreulicherweise in seinem vierten Film. Neben den versteckten Kameras, setzt er auf ein spezielles Sounddesign. So hallen die Dialoge über die meiste Zeit, Geräusche aus der Umgebung werden währenddessen herausgefiltert. Damit stilisiert er Amir schon zu einer Art Prophet hoch – auch wenn der Protagonist eher die Rolle eines Hobbytherapeuten einnimmt. Dazu hört Amir während der Fahrt immer wieder eine weibliche Stimme in seinem Kopf – quasi ein inneres Navi, aber ebenso Ausdruck einer bezeichnenden stetigen Vorsicht, ob man auf der Straße von Polizei oder Behörde beobachtet wird. Der therapeutische wie appellierende Charakter des Films tritt endgültig hervor, wenn Amir die vierte Wand durchbricht, ja sogar mit den Zuschauer:innen interagieren möchte.
Um das Publikum für das nächtliche Road-Movie zu gewinnen, setzt Ahmadzadeh nahezu alles auf die Atmosphäre, den Vibe. Und in diesen stolpert er mit den ersten beiden Kunden zunächst hinein – zu starr wirkt die Konstellation der Mini-Therapiesitzungen im Viertürer. Abseits davon bemüht er sich, den Hintergrund der Hauptfigur zu unterfüttern und zeichnet Amir als damals ausgesetztes Kind auf der Straße und heutiger einsamer Kämpfer für die Zurückgelassenen. Das sind allenfalls nette Einschübe, die leicht untergehen. Als Amir mit der Pflegehelferin draußen eine Runde kifft, entsteht allmählich der Flow, zusammen mit den flackernden Lichtern und Häuserschluchten in der Ferne.
Das Motiv einer Kundin, die ohne Kopftuch nachdenklich aus dem Auto herausschaut, mag zum einen banal erscheinen. Zum anderen schwingt da im Hinterkopf immer der politische Kontext mit. Und dem wird weiteres Gewicht und eine Tragik verliehen mit einer im Radio übertragenen Klage über den kontinuierlichen Schwund junger Iraner:innen und einem angedeuteten Zerfall des Landes. Da gleiten die Gedanken für eine Weile dahin, doch Obacht: ein Kontrollposten rückt näher, das Kopftuch muss wieder umgebunden werden. Critical Zone entfaltet seine maximale Kraft in der Episode mit einer Stewardess. Amir holt sie im Transitbereich des Flughafens ab, es geht anschließend hinaus ins offene Gelände.
Ein bisschen Licht brennt noch im Auto, Lines werden gezogen und ab da beginnt der Film zu schweben. Völlige Gelassenheit, der Kopf ist frei, alles ist erlaubt – in ironischer Dunkelheit. Aus den Minuten der Entschleunigung wird ein Moment des Selbstvergnügens, der sich wenige Augenblicke später in einen der vollständigen Selbstbefreiung wandelt. Das Fenster wird auf der Autobahn heruntergefahren, die Stewardess lehnt sich heraus und mit voller Inbrunst ruft sie mehrfach ein absolut gerechtfertigtes wie entschiedenes „Fuck You!“ in den Teheraner Himmel – mit klarem Adressaten.
In einem solch atemberaubenden Moment zeigt sich der angestaute Frust, aber auch die Hoffnung, die ein bisschen in Critical Zone aufkeimt – obwohl der Film nahezu durchgehend resignierte Einwohner:innen präsentiert. Wenn die Wirkung der Drogen nachlässt und rotes Licht womöglich die Kopfschmerzen Amirs etwas lindern soll, verbleibt der Farbe entsprechend die pulsierende Resilienz jener jungen Menschen, die sich gegen das unterdrückende Regime auflehnen.
Fazit
Ali Ahmadzadeh trotzt dem auferlegten Drehverbot seitens der iranischen Zensoren und präsentiert mit „Critical Zone“ direkt und ungeschönt ein Abbild jener Gesellschaft seit den Protesten in Folge des Todes von Mahsa Amini. Mit kleinen technischen und akustischen Kniffen ebnet er den Weg für ein nächtliches Road-Movie, das nach kleinen Schwierigkeiten, zu Beginn der Fahrt, von Episode zu Episode einen starken Sog entwickelt. „Critical Zone“ bietet Raum für Gedanken, für Beistand, und dient als Speicher der Energie des Widerstands, auf die Zuschauer:innen und Iraner:innen im Exil in Folge der härter durchgreifenden Sittenpolizei zurückgreifen können.
Autor: Marco Focke