Inhalt
In Paris tanzt die Teenagerin Cecile mit ihrem Playboy-Vater Raymond, aber Freude will sich nicht einstellen. Die Gründe dafür liegen einige Monate zurück: Damals lebte die dekadente Cecile noch unbeschwert mit dem Papa in Südfrankreich in den Tag hinein. Als deren Villa jedoch von Anne, Raymonds alter Liebe, besucht wird und Raymond offen von Hochzeit spricht, sieht Cecile ihren Lebensstil in Gefahr. Sie will die beiden Erwachsenen auseinander bringen und setzt damit eine Tragödie in Gang.
Kritik
Als Menschen sind wir machtlos darüber, welche Momente unseres Lebens nur flüchtiger Natur sind und welche mit nachhaltiger Intensität ihre unauslöschlichen Spuren in den Tiefen der Seele hinterlassen. Zusätzlich problematisch gestaltet sich hierbei die Tatsache, dass der subjektive Wert einzelner Erlebnisse, ob positiv oder negativ, in der Regel erst rückblickend über unsere Erinnerungen entsteht. Auch wenn einem von verschiedenen Seiten leichtfertig eingeredet wird, man solle immer im jeweiligen Moment leben und nie an das denken, was in der Vergangenheit liegt, wirken die schwerwiegendsten Schlüsselmomente des eigenen Lebens erst nach, wenn sie längst geschehen sind. Erst durch ganz entscheidende Erfahrungen, die sich nachträglich unwiderruflich in unserem Unterbewusstsein verankern, verändert sich die eigene Persönlichkeit in einem fortlaufenden Prozess und formt uns zu den Menschen, die wir sind.
Dass dieser Prozess nicht nur aus einzigartigen Momenten besteht, die ein ganz besonderes Lebensgefühl widerspiegeln, in das man sich innerhalb von Sekunden aufgrund bestimmter Erinnerungen sofort wieder hineinversetzen kann, sondern auch aus schmerzlichen Reflexionen, die sich wie ein grauer Schleier über das momentane Dasein legen, muss auch die gerade einmal 17-jährige Cecile feststellen. In seiner Romanverfilmung Bonjour Tristesse zeigt Otto Preminger (Laura) Situationen aus dem Leben der jungen Frau in Paris zu Beginn in tristen Schwarz-Weiß-Impressionen, als würden sie aus der Vergangenheit der Protagonistin stammen und schon im nächsten Moment eher unbedeutend verblassen.
Die plötzlich einsetzende Erzählstimme von Cecile teilt dem Zuschauer jedoch mit, dass dieser Zustand ihr gegenwärtiges Leben darstellt. Obwohl sie gerade innig mit einem gutaussehenden Mann auf der Tanzfläche zu sehen ist, verdeutlicht die Protagonistin mithilfe des nüchtern vorgetragenen Voice-over, dass sie die Gefühle ihres Gegenübers nicht im Ansatz erwidern könne. Wie Cecile an diesem Punkt angelangt ist, entfaltet sich in Rückblenden, die an die französische Riviera führen. Hier klärt der Regisseur den Zuschauer langsam darüber auf, um was für einen schicksalsträchtigen Sommer es sich handelt, an den sich die Protagonistin unentwegt zurücksehnt und sich dabei fragt, ob ihr Leben jemals wieder so sein wird wie damals in diesem Sommer.
Von der traurigen Melancholie aus Ceciles Alltag wechselt Preminger zu farbenprächtigen CinemaScope-Bildern, die die Côte d’Azur als kraftvoll strahlendes Urlaubsparadies erblühen lassen. Hier lebt Cecile zusammen mit ihrem Vater Raymond ein möglichst unbeschwertes, ausschweifendes Leben. Während die Tochter Tag für Tag die Sonne und das Meer genießt und sich von Angestellten bedienen lässt, vergnügt sich der Vater mit ständig wechselnden Frauenbekanntschaften, die bei ihnen im einladenden Feriendomizil als Gäste unterkommen. Der Regisseur zeichnet Cecile dabei ganz nach ihrem Vater, indem sie den Lebensstil von Raymond tatkräftig unterstützt und sich sichtlich an den unterschiedlich ein- und ausgehenden Frauen erfreut, während sie nicht eine Sekunde lang daran denkt, für ihr Studium zu lernen.
Preminger zelebriert den Hedonismus von Vater und Tochter in formschönen Einstellungen, in denen er bisweilen gar so weit geht, ein dezent inzestuös gefärbtes Verhältnis anzudeuten, bis sich irgendwann eine Frau ins Leben der beiden drängt, die vor allem Ceciles Lebenswelt überraschenderweise auf den Kopf stellt. Mit Anne scheint Raymond auf einmal die Frau fürs Leben gefunden zu haben, während die neue Lebensgefährtin des Vaters beginnt, Cecile aus ihrem unbeschwerten, sorgenfreien Alltag zu reißen. So soll sie nicht nur aufhören, sich mit dem attraktiven Jurastudenten Philippe zu treffen, sondern auch damit beginnen, sich wieder voll auf ihr Studium zu konzentrieren.
Mit Ceciles wutentbranntem Plan, einen Keil zwischen Raymond und Anne zu treiben und die beiden so schnell wie möglich auseinanderzubringen, bewegt sich Bonjour Tristesse schließlich auf die unausweichliche Tragödie zu, die Cecile vermutlich auf ewig verfolgen wird. Preminger verhandelt die moralisch komplexen Konflikte und ambivalenten Gefühle zwischen den drei Schlüsselfiguren als leise im Takt der Meereswellen vor sich hin treibendes Melodram in der Tradition großer Hollywood-Studiofilme der 50er, für das er sich allem voran auf die unglaublich vereinnahmende Ausstrahlung von Hauptdarstellerin Jean Seberg (Saint Joan) in der Rolle von Cecile verlässt.
Noch bevor die Schauspielerin anschließend von Jean-Luc Godard (Die Verachtung) mit Außer Atem zum Weltstar erhoben wurde, soll François Truffaut (Jules und Jim) bereits über sie gesagt haben, dass sie eine Schauspielerin von unerreichter Präsenz sei, von der man die Augen nicht mehr ablassen könne, sobald sie auf der Bildfläche erscheint. Als Zuschauer kann man sich Truffaut nur anschließen, denn Sebergs Schauspiel ist in jeder einzelnen Szene von geradezu hypnotischer Kraft. In ihrem Auftreten vereinen sich jugendlicher Leichtsinn und divenhafte Grazie zu einer unwiderstehlichen Ausstrahlung, die in der gesamten Filmgeschichte nur von wenigen Schauspielerinnen erreicht werden konnte und durch Sebergs tragischen Suizid im Alter von 40 Jahren zusätzlich an mystischer Faszination gewinnt.
Besonders durch ihre Darstellung von Cecile gestaltet sich Bonjour Tristesse als eindringlicher Film über genau diese kostbaren Momente der radikalen Flüchtigkeit, die sich entweder als wunderschöne Erinnerungen eines einzigartigen Lebensgefühls regelmäßig vor dem inneren Auge manifestieren oder in Form von deprimierenden Narben einen alles umhüllenden Schatten über das eigene Dasein legen.
Fazit
Otto Premingers „Bonjour Tristesse“ ist ein tragisches Drama über die flüchtigen Momente des Lebens, die sich im Rückblick entweder als Fluch oder Segen in das eigene Unterbewusstsein eingebrannt haben. Mithilfe der Inszenierung, die zwischen tristen Schwarz-Weiß-Einstellungen und prachtvollen CinemaScope-Bildern einen markanten Kontrast zwischen der Persönlichkeit der Protagonistin errichtet, und dem herausragenden Schauspiel von Hauptdarstellerin Jean Seberg ist der Film ein fantastisches Werk aus der glorreichen Zeit der damaligen Hollywood-Ära, dessen zentrale Thematiken die Zeit überdauert haben und auch heute nichts von ihrer Relevanz für unser Leben als Menschen verloren haben.
Autor: Patrick Reinbott