Inhalt
Tiefer kann man kaum stürzen: Der großmäulige Vater, der sich gerne als Schriftsteller und Politikerfreund ausgibt, trinkt sich in Wahrheit über die Jahre runter: erst Autohändler, dann Taxifahrer, landet er schließlich im Obdachlosenasyl. Der Sohn, auch nicht gerade ein Ausbund an solidem Lebenswandel, versieht in ebendiesem Asyl, einer Arche Noah für alle die, die im Alkohol zu ertrinken drohen, seinen Dienst – und muß den Niedergang des Vaters aus nächster Nähe mit erleben, während er selbst in den Strudeln des Lebensalltags zu versinken droht. Nick Flynn ist dieser Sohn: Ohne Selbstmitleid und in verstörender Aufrichtigkeit erzählt er die Geschichte mit seinem Vater, eine Geschichte, die voller Hoffnung und voller Zukunft ist.
Kritik
„Amerika hat nur drei klassische Schriftsteller hervorgebracht: Mark Twain, J.D. Salinger und mich!“
An Selbstbewusstsein mangelt es Jonathan Flynn (Robert De Niro; Wie ein wilder Stier) definitiv nicht, nur lässt es sich schon lange nicht mehr als ein gesundes bezeichnen. Der selbsternannte Meister des geschriebenen Wortes hat bis heute nichts veröffentlicht, befindet sich seit Jahrzehenten in der „Recherchephase“ und „Materialsammlung“ für sein inzwischen gigantisches Skript, an dessen Ende ein lyrisches Jahrhundertwerk stehen wird. So glaubt er. Beharrlich, unverbesserlich und schon längst der Realität komplett entglitten. De facto ist er ein rassistischer, homophober, versoffener, exzentrischer Choleriker, der nach einer Räumungsklage, dem Verlust seines Führerscheins und somit seines Lebensunterhalts als selbstständiger Taxifahrer endgültig am Boden angekommen ist. Wie es das Schicksal so will trifft er in dem Obdachlosenasyl, dass die letzte ihm gebliebene Anlaufstelle ist, auf seinen dort seit kurzem beschäftigen Sohn Nick (Paul Dano; There Will Be Blood), den er vor 18 Jahren mit seiner Mutter Jody (Julianne Moore; Still Alice) sitzen gelassen und seitdem egoistisch ignoriert hat.
Obwohl Nick seinen Erzeuger selbst Zeit seines Lebens als „manifestierte Abwesenheit, eine Nicht-Präsenz, einen Namen ohne Körper“ titulierte, zusehen musste wie seine Mutter an Überforderung und Enttäuschung schließlich in den Suizid getrieben wurde und er selbst seine Kindheit ohne Vaterfigur, nur mit stetig wechselnden, sehr begrenzten Lebensabschnittsgefährten von ihr orientierungslos überstehen musste, eiferte er seinem alten Herren insgeheim immer nach. Oder zumindest dem, was er von ihm glaubte zu wissen. Auch er tingelt perspektivlos durchs Leben, hat irgendwo das Streben in sich, als Autor Erfolg zu haben, ohne dieses Ziel konsequent zu verwirklichen. Stattdessen bestreitet er munter den Pfad des vergeudeten Talents und des selbstzerstörerischen Lebens in bester Familientradition. Was ihm erst überdeutlich gewiss wird, als er das kümmerliche, widerwertige Häufchen Elend nun – nach 18 Jahren – zum ersten Mal direkt vor die eigene Nase gesetzt bekommt und die Spirale des kontinuierlichen Abstiegs erst recht in Gang gebracht wird, anstatt als mahnendes Beispiel zu stoppen.
Fast verwundert und positiv überrascht mag man sich die Augen reiben, was die Independent-Produktion Being Flynn partiell im Stande ist zu leisten, speziell in der ersten Hälfte. Paul Weitz hat sich nach seinem Überraschungs-Teenie-Comedy-Hit American Pie (gemeinsam mit Bruder Chris) nicht gerade als besonders feinfühliger oder ernstzunehmender Regisseur hervorgetan, einer unter vielen. Hier gelingt ihm mit der Adaption des autobiographischen Romans des echten Nick Flynn sein sicherlich reifstes Werk und die kleine Wiederauferstehung des zum Fließbandarbeiter verkommenen Robert De Niro, der in diesem Jahrtausend Klasse durch Masse ersetzte. Allein deshalb verdient dieser Film Aufmerksamkeit. Selten wurde De Niro in den letzten Jahren überhaupt die Chance geboten, seine einst überragenden Fähigkeiten zu beweisen und bei Being Flynn ist er manchmal nah dran an alter Qualität. Das hat nichts zu tun mit diesen gelangweilten bis manchmal sogar peinlichen Zwangsvorstellungen in lieblosen 08/15-Filmen. Generell ist die Besetzung bemerkenswert, denn wer neben De Niro noch Paul Dano, Julianne Moore und nebenbei noch bekannte und nicht untalentierte, gerngesehene Gesichter wie Wes Studi (Heat) oder Lili Taylor (Conjuring – Die Heimsuchung) auffährt, der hat womöglich einiges vor. Was zum Teil auch gelingt.
Mit seiner harmonisch abgestimmten Mischung aus tiefer Melancholie und trockenem, nicht dominanten Humor ist Being Flynn anfangs auf dem besten Weg in Richtung Geheimtipp. Einige pointierte Dialoge, interessante, hervorragend verkörperte Figuren und die spannende, konfliktreiche Konfrontation von Vater und Sohn, die sich fremder nicht sein könnten und doch so unheimlich, fast ferngesteuert nah. Paul Weitz gelingen über die gesamte Laufzeit verteilt einige sehr sensible Momentaufnahmen, die ungeahntes, inszenatorisches Geschick offenbaren (toll: Das Baseballspiel) und ein angenehm, Kitsch-befreites Ende, das nicht dem Vergeben-und-Vergessen-Sültz unterliegt. Das wäre auch unangebracht. Vielmehr reift ein Mann an dem schwierigen Prozess der Akzeptanz. Dem der eigenen und noch mehr an dem des Menschen, den er nicht mehr ändern oder gar retten kann. Nur im besten Fall nicht verstoßen, wie es ihm einst widerfahren ist. Schade, dass Being Flynn sein reichhaltiges Potenzial nicht durchgehend, verbindend durchformulieren kann, etwas an der Hürde des eigenen Anspruchs scheitert. Mit zunehmender Laufzeit verliert der Film seine selbstverständliche, ungezwungene Art und wird langsam, aber sichtlich von der eigenen Schwere runtergezogen, wirkt etwas verkrampft und unsicher-vorsichtig im so wichtigen Schlussakkord. Was er vorher geschickt vermeiden konnte.
Fazit
Eine reizvolle Geschichte, intensive Momente und ein hochkarätiger Cast (diesmal nicht nur auf dem Papier) zeichnen Being Flynn aus und machen ihn insgesamt zu einem recht sehenswerten Film, der nur – und dieses „nur“ ist leider das dicke Haar in der Suppe – an dramaturgischen, narrativen Schwächen in der zweiten Hälfte einiges an Vorschusslorbeeren einbüßt. Der positive Eindruck überwiegt aber auf jeden Fall…Robert De Niro eingeschlossen!
Autor: Jacko Kunze