Inhalt
Eine Frau trägt den Namen ihrer Stadt: Partenope. Doch genau wie die Stadt ist sie ein Mysterium.
Kritik
„Parthenope!“ ertönt es gleich zu Beginn als ein Kind durch Wassergeburt an der Küste des malerischen Neapels zur Welt kommt. Ein Name, der entzücken wird und der einen großen Mythos in sich trägt: Benannt nach einer der sechs Sirenen, deren Lieder in der griechischen Mythologie den umherreisenden Odysseus nicht bezirzten konnte, woraufhin sie sich tragisch ertränkte um schließlich am Strand von Neapel, Heimat von Regisseur Paolo Sorrentino (La Grande Bellezza), der mit seinem neuen Film nach The Hand of God die Liebeserklärung an den Ort seiner Geburt und Adoleszenz fortsetzt, angespült zu werden. Diese Rahmung fungiert mehr oder weniger als Ausgangspunkt und These für die Prämisse des Filmes, welcher Newcomerin Celeste Dalla Porta als die betörend schöne Titelfigur durch ihr Leben folgt und den wahrscheinlich größten Erzählrahmen Sorrentinos Karriere anstrebt. Von 1950 bis ins Jahr 2023 wird der Mythos Parthenope im geerdeten Gewand nicht neuerfunden, sondern neuinterpretiert als das Leben einer Frau zu Zeiten des Umbruchs. Inszeniert ist dies als Reflexion über alle Themen, die Sorrentinos Filme prägen, von der Überschneidung von Profundem und Profanem, der verlorenen Jugend, und der Schönheit von Italien. Doch all dies hilft nichts, denn Sorrentino gibt mit all diesen Elementen vor etwas verstehen zu wollen, was er noch vor den Eröffnungsminuten sich zurecht gerahmt hat.
Die veröffentlichte Beschreibung des Filmes deckt bereits dessen Intention und die Probleme in dessen Ansatz auf. Für Sorrentino trägt Parthenope „den Namen ihrer Stadt“ sei aber „weder Mythos, noch Sirene.“ Diese jugendliche Schönheit, die als oberflächliche Projektionsfläche seiner gewohnt malerischen Kamera dient, wird sich für keinen Mann, egal ob Milliardär oder Jugendfreund, opfern, auch nicht für ihren Bruder, der an seinen inzestuösen Gefühlen zu Grunde gehen wird, aber vielmehr ist der Odysseus in Sorrentinos Film stellvertretend für die gesamte Welt, der Parthenopes Präsenz auf Erden immer mehr verspricht als sie geben könnte. Es ist Della Portes magnetisch, melancholische Performance, die der Figur Tiefe gibt, denn alles, was der Film ihr sonst hinzufügt beschränkt sich auf Begegnungen und historische Daten: Eine Familientragödie fällt zusammen mit dem Ausbruch der Cholera, eine schicksalshafte Begegnung mit Schriftsteller John Cheeves (Gary Oldman, Bram Stokers Dracula) gibt ihr auf den Weg, das ihre Schönheit, wie Kriege, Türen öffnen wird, in einer Universität wuselt Jean Paul Sartre umher und 2023 wird die Fußballmeisterschaft auf den Straßen Neapels gefeiert. Parthenope wird zur beharrlichen Zeugin von Italiens Geschichte und diese Position zementiert ihren Mythenstatus für die Kamera und das Narrativ bereits. Unterm Strich versagt es der Film, die schmerzhafte Geringfügigkeit seines Subjektes zu verstehen, welches im Angesicht mit dem Rest der Welt eigentlich immer klarer werden sollte.
Doch für Sorrentino ist es genug, Parthenopes Streben nach dem Lossagen von ihrer Schönheit, von der sie sich bewusst ist, dass sie diese mit dem Alter ablegen wird, wie es die finale Rahmung des Filmes mit einer gealterten Parthenope (Stefania Sandrelli, Scheidung auf Italienisch) als hochdoktorierte Professorin deutlich macht, als endgültige These über die Vergänglichkeit des Schönen auszuformulieren. In der Akademie wird sie ihr Zuhause finden, unter der Fittiche des Anthropologie-Professors Marotta (Silvio Orlando, A Brighter Tomorrow), der ihr verklickert, das niemand Anthropologie wirklich versteht, genauswenig wie Sorrentinos Interesse daran hat, Parthenopes akademischen Ambitionen nachzuvollziehen. Der Frauenkult, dem Sorrentinos Filme gelegentlich mit Hang zum Chauvinismus frönen, kommt ihn hier nun schlussendlich heimsuchen, den alle Schönheit und Turbulenzen des europäischen Weltgeschehens reichen ihm nicht, um das Innenleben der schönsten Frau der Welt auch nur zu berühren, geschweige denn dieses zu erwecken oder zu hinterfragen. So verbleibt ein Film, der 136 Minuten auf der Stelle tritt und der George Bernard Shaws Zitat „Jugend ist an die Jungen verschwendet“ umso zynischer und fatalistischer rahmt.
Fazit
Mit „Parthenope“ wird der nach der Betörung suchende Blick von Paolo Sorrentino unter seinen Ambitionen begraben. Trotz unbestreitbarer visueller Ideen und eines hinreißend erhobenen Handlungsbogens versagt sein Film seinen Ideen, Thesen und mythologischen Verweisen einen ausreichend narrativen Raum zu geben, sodass seine betörenden Bilder zur reinen Kulisse verkommen.
Autor: Jakob Jurisch