Inhalt
Was kostet es, der Macht die Wahrheit zu sagen? In Putins Russland könnte es Ihr Leben sein. „Antidote“ ist ein auf wahren Begebenheiten beruhender Thriller mit hohem Einsatz, der einem Whistleblower aus dem Inneren des russischen Giftprogramms bei seinem Fluchtversuch folgt; Vladimir Kara-Murza, ein prominenter politischer Aktivist, der zweimal vergiftet wurde und nun wegen Hochverrats vor Gericht steht; und seiner Frau Jewgenia. Eine der zentralen Figuren ist Christo Grozev, ein investigativer Journalist, der die Beteiligung russischer FSB-Offiziere an der Vergiftung von Alexei Nawalny aufgedeckt hat.
Kritik
Es sei eine Vorstellung wie aus irgendeinem verrückten Spionage-Roman, erwidert Christo Grozev zu Beginn James Jones‘ (Chernobyl: The Lost Tapes) packender Reportage auf die Frage, ob er je gedacht hätte, dass er einen Mordanschlag auf sich selbst recherchieren würde. „Man kann sich nicht vorstellen, dass einem so etwas passiert. Bis es das doch tut.“ Der Vorfall, auf den der bulgarische Investigativ-Journalist und der britische Regisseur sich beziehen, ist keine Ausnahme, sondern Teil einer grausam etablierte Strategie des russischen Regimes.
Das wohl prominenteste Opfer dessen staatlich initiierter Giftanschläge war der russische Oppositionsleiter Alexei Anatolyevich Navalny (Nawalny) der Anfang des Jahres in einer arktischen Strafkolonie - davon kann man ausgehen - erfordert wurde. Erst 2020 überlebte er knapp einen politischen Mordversuch mit dem Nervengift Novichok. Entwickelt werden die international verbotenen Substanzen von geheimen Forscherteams, deren Mitglieder selbst potenziell auf der Todes-Liste stehen, wenn sie an die Öffentlichkeit gehen. So wie der anonymisierte Whistleblower, dessen Flucht den ersten Akt bestimmt.
Die Szenen, in denen er die EU-Grenze überquert und nach nervenaufreibendem Warten seine nachgereiste Familie umarmt, könnten ebenso gut aus einem TV-Thriller stammen. Dass der Regisseur die akzentuierte Spannungselemente seriöser Sachlichkeit vorzieht, schadet der Glaubwürdigkeit indes ähnlich wie die mangelnde Distanz zu den journalistisch fragwürdigen Methoden des 2014 von Eliot Higgins gegründeten Fact Checking Mediums Bellingcat, mittlerweile geleitet von Cherkov. Sein Heroisieren wirkt innerhalb des thematischen Kontexts noch deplatzierter als das markige Intro.
Fazit
Die fesselnde Story James Jones straff arrangierter Investigativ-Doku sind wie geschaffen für einen Verschwörungskrimi, mit dem der ins Zentrum der alarmierenden Thematik gestellte Christo Grozev seine Erlebnisse vergleicht. Einen solchen hätte der Regisseur wohl lieber gedreht hätte als seinen polierten Polit-Report. Dessen erschütternden Enthüllungen präsentieren spannungstreibender Soundtrack und düstere Design-Akzente mit maximaler Suspense. So effektiv dies den Unterhaltungswert steigert, wirkt ambivalent in einer Zeit eskalierender Verschwörungstheorien, deren paranoiden Tenor sich die Inszenierung unvorteilhaft annähert.
Autor: Lida Bach