Dass dieses Jahr ein Dokumentarfilm die Berlinale gewann, nachdem bereits 2022 in Venedig eine Doku als Bester Film ausgezeichnet wurde, scheint bezeichnend für eine Welt, in der die Realität dramatischer ist als deren Fiktionalisierung. Höchste Zeit für einen Blick auf einige der interessantesten Filmberichte, nach denen ihr in den nächsten Monaten Ausschau halten solltet.
Der Titel der filmischen Eulogie übernehmen Fabiana Fragale, Kilian Kuhlendahl und Jens Mühlhoff vom Twitter-Account des Umweltschützers und Aktivisten Steffen Meyn. Er verunglückte vor fünf Jahren beider polizeilichen Räumung des Hamberger Forsts tödlich. Die dokumentarische Aufbereitung des von meyn gedrehten Archivmaterials konzentriert sich auf den menschlichen Verlust. Dennoch erinnern gerade die Leerstellen an die quälenden ungelösten - und ungestellten - Fragen.
Ein Theaterstück über die alltägliche sexuelle Gewalt in Syrien. Fünf junge Künstlerinnen, die auf unmittelbarer persönlicher Ebene mit patriarchalischer Gewalt und internalisierter Misogynie konfrontiert sind. Heba Khaled, Talal Derki und Ali Wajeeh erreichen in ihrer systemkritischen Sektion nicht immer ihr Ziel, aber gegeben dennoch fesselnde Einblicke in das Netzwerk institutionalisierter Unterdrückung.
Anthony Ings cineastische Collage filmischer Begegnungen mit der vielbeschäftigten Statistin und Nebendarstellerin Jill Goldston ist weit mehr als herzerwärmende Hommage an eine unscheinbare Dauerpräsenz im Kino. Eine existenzialistische Meditation über Schein, Sein und Sinnhaftigkeit in einer Welt, deren ungezeigte Dramen womöglich die spannenderen sind.
Die Frösche sind weg. Volker Schlecht gibt der renommierten Biologin Karen Lips in seinem alarmierenden Animationsfilm eine wohlverdiente Bühne, von der aus sie an den verheerenden Einfluss des Menschen auf fragile Ökosysteme erinnert. Ein 16-Minuten-Krimi aus einer bedrückenden Realität.
Katzen im Koffer, Kühe im Schlamm, Waschmaschinen im Schützengraben und das eigene Sperma auf der Samenbank, damit es noch eine nächste Generation gibt: Grauen und groteske Komik halten sich die Waage in Vitaly Manskys und Yevhen Titarenkos packendem filmischen Frontbericht aus der Ukraine.
Eine strahlende Zulunft liegt vor den Männern und Frauen, die Kilian Armando Friedrich und Tizian Stromp Zargari auf ihrer Odyssee zwischen Frankreichs Kernreaktoren begleitet. Die gesundheitlichen Riskine sind nur eine der Belastungen, die eine beständig wachsende Kollone von Zeitarbeitenden auf sich nimmt, um ihre Familien finanziell zu versorgen - und die Bevölkerung mit Strom.
Argentiniens Junta-Prozesse in voller Länge auf die Leinwand zu bringen, hieße das Publikum ür Wochen im Kino sitzen zu Assen. So verdichtet Ulises de la Orden das erschlagende Archivmaterial zu einem dreistündigen Kollossalwerk von erdrückender juristischer und historischer Gewichtigkeit. Ein beklemmender Blick in den Abgrund staatlichen Terrors.
Boubacar Sangaré Kehrt zurück zu Burkina Fasos Goldminen, in dene er einst als Jugendlicher unter Tage arbeitete. Seine persönliche Verbindung zur Thematik kreiert eine einzigartige Vertrautheit zu den minderjährigen Minenarbeitern, die heute an seiner Stelle ihre Gesundheit und ihre Leben in der Hoffnung auf eine bessere Zukunft riskieren.
Wohin gehen Filme, wenn deren letzte Kopie in den Gewölben eines Filminstitus im Endstadium der Zersetzung ist? Wie viele fast vergessene Filmschätze schlummern in verstaubten Kassetten in den Lagern kleiner Kommunalkinos einem handlichen Schicksal entgegen? Thierno Souleymane Diallo enthüllt in seiner cineastischen Spurensuche die fatalen Folgen kolonialistischer Kulturzestörung und die Bedeutung kunsthistorischer Konservierung.
Als Reyhaneh Jabbari 2014 hingerichtet wurde, ging die Nachricht um die Welt. Die Familie der zum Zeitpunkt der Verurteilung 19-jährigen Studentin, die in Notwehr einen Vergewaltiger erstach, kämpfte jahrelang für eine Revision des Verfahrens. Steffi Niederzolls packendes Pamphlet für Menschenrechte vereint seltene Einblicke in den iranischen Vollzug mit berührenden Interviews der Angehörigen einer Frau, die zum Symbol für den Freiheitskampf wurde.