Inhalt
Als der Fotoreporter Patrick (Kentucker Audley) einen sonderbaren Brief seiner Schwester Caroline (Amy Seimetz) erhält, in welchem diese ihr glückliches Leben in der ebenso abgelegenen wie ultrakonservativen Religionsgemeinschaft Eden Parish schildert, läuten bei ihm sofort alle Alarmglocken. Gemeinsam mit Sam (AJ Bowen), der aus dem Trip einen Aufklärungsbericht fertigen möchte und dessen befreundetem Kameramann Jake (Joe Swanberg) macht sich Patrick alsbald auf den Weg, um sich vor Ort selbst ein Bild der Lage zu machen. Was die drei in Eden Parish erwartet, entpuppt sich auf den ersten Blick als perfektes Idyll. Umgeben von dichtem Dschungel und nur durch einen Hubschrauber erreichbar, entfaltet sich auf einer gigantischen Lichtung eine beeindruckende Aneinanderreihung von selbstgebauten Unterkünften und Wirtschaftsgebäuden. Die Bewohner erscheinen glücklich und zufrieden und auch die Grundstimmung den drei Freunden gegenüber ist ausgesprochen entspannt. Die anfängliche Skepsis - ausgelöst durch schwerbewaffnete, einheimische Wachen - wird auf Grund der hypnotischen Schönheit des Ortes und der eloquenten Reden des Gemeindeoberhauptes Father (unglaublich gut: Gene Jones) rasch ad acta gelegt. Welches abartige Spiel an diesem gottverlassenen Ort wirklich getrieben wird, offenbart sich den Dreien beinahe zu spät.
Kritik
Jonestown 2.0
Das sogenannte Jonestown Massaker ist wohl der bekannteste Fall von religiös motiviertem Massensuizid der jüngeren Geschichte. Im Jahr 1978 bewegte Jim Jones beinahe 1000 seiner Mitglieder, nach jahrelanger Gehirnwäsche und psychischer wie physischer Misshandlung dazu, sich mit einer tödlichen Mischung aus Valium und Zyankali das Leben zu nehmen. All Jene, die genug Vernunft besaßen sich diesem Befehl zu widersetzen, wurden kaltblütig ermordet. Regisseur Ti West („The House of the Devil“) entleiht sich die religiös fundamentalistische Grundidee einer abgelegen agierenden sektenähnlichen Gemeinschaft mit allmächtigem Anführer und bastelt daraus seine eigene Found-Footage-Mockumentary rund um die Themen Fanatismus, Paranoia und nicht zuletzt Wahnsinn. Dabei formt Ti West aus einer grausamen Fußnote der amerikanischen Zeitgeschichte ein ebenso spannendes wie beklemmendes Thriller-Drama. Nachdem „The Sacrament“ bereits im März 2014 im Zuge der FantasyFilmFest Nights im deutschsprachigen Raum seine Premiere gefeiert hatte, erschien der Film im November 2014 nun auch auf Blu-ray und DVD.
Besonders bildtechnisch stellt „The Sacrament“ eine äußerst positive Überraschung dar, da, bis auf wenige Ausnahmen gegen Ende des Films, durchgehend mit einer professionellen HD-Handkamera (Canon C300) gearbeitet wurde. Die im Found-Footage-Genre ansonsten übliche Extremwackelkamera mit ausgeprägter Helldunkelschwäche und nervenaufreibenden Qualitätsschwankungen sucht man in Ti Wests Thriller-Drama-Pseudodokumentations-Mix somit vergeblich. Das, diesem Genre eigene, latente Realitätsproblem, dass auch in den gefährlichsten Momenten die Kamera nicht beiseitegelegt wird, lässt sich dadurch zwar trotzdem nicht zu 100% vermeiden. Durch die drehbuchmäßig vorgesehene Professionalität der Protagonisten wird es jedoch das ein oder andere Mal geschickt umschifft. Grob gesagt, stellt „The Sacrament“ eine Weiterentwicklung des handelsüblichen Found-Footage-Kinos dar.
Auch der gemächliche Spannungsaufbau, ohne die ewiggleichen Schockmomente und Crowd-Pleaser, ist eher genreuntypisch. Durch diesen dramaturgischen Kniff kommt das erschreckend nihilistische und ausgesprochen hoffnungslose Finale noch stärker zur Geltung. Die Erkenntnis, zu welchen Gräueltaten der Mensch fähig ist, wenn er durch religiöse Irrlehren verblendet wird, ist ernüchternd und schmerzt beinahe körperlich. Die nicht unbedingt notwendige, aber in ihrer Zurückhaltung passende musikalische Untermalung unterstützt das Gefühl, sich eine besonders brutale Dokumentation zu Gemüte zu führen.
Auch die Darsteller, allen voran Gene Jones als irres Gemeindeoberhaupt, wissen zu überzeugen. Neben diesem Ausnahmetalent (mit ausgesprochen karger Filmographie) sind es vor allem AJ Bowen, Joe Swanberg und Amy Seimetz - die bereits in Adam Wingards „You’re Next“ zusammen gearbeitet haben - die den Film tragen. Kentucker Audley bleibt in seiner zugegebenermaßen undankbaren Rolle als etwas zu blauäugig agierender Bruder, weitgehend blass.
Fazit
Der semidokumentarische Found-Footage-Streifen „The Sacrament“ von Regisseur Ti West überzeugt durch seine beinahe zermürbende Authentizität und die tollen Darstellerleistungen von AJ Bowen, Joe Swanberg, Amy Seimetz und allen voran Gene Jones. Auch das beinharte Finale bleibt in Erinnerung. Die sehr ruhige, professionell wirkende und damit genreuntypische Kameraführung trägt ihr Übriges dazu bei, dass der geneigte Zuschauer sich ständig mitten im Geschehen wähnt und dem Filmverlauf - trotz des äußerst gemächlichen Spannungsaufbaus - wie gebannt folgt. Nicht nur Found-Footage-Fans oder Horror-Aficionados uneingeschränkt zu empfehlen.
Autor: Christoph Uitz