Mit The One Hundred (alias Creepy Crawly) möchten uns die beiden thailändischen Regisseure Chalit Krileadmongkon (Leio) und Pakphum Wongjinda (Formalin Man) unter Beweis stellen, dass auch ihr Heimatland sich auf das Horrorgenre versteht. Sonderlich viel Relevantes hat Thailands Filmindustrie in diese Richtung bislang nämlich noch nicht vorzuweisen. Vampires: The Turning, Re-cycle, Shutter, Sars War sowie die vor gar nicht mal so langer Zeit erschienen Werke The Lake und The Pool dürften dahingehend wohl mit unter noch die „prominentesten“ Vertreter sein. Stellt sich also die Frage, ob The One Hundred Thailand auf die imaginäre Landkarte des Horrorfilms hieven kann.
Werfen wir zunächst einen Blick auf die Handlung des Films. Diese ist während der Coronapandemie angesiedelt, weswegen Reisende, die in Bangkok ankommen, zunächst einmal in Quarantänehotels untergebracht werden. Schauplatz des Geschehens ist ein ebensolches Hotel, in dessen Gemäuern auf einmal etwas nicht Menschliches sein Unwesen treibt. Etwas, das nicht nur das Leben der Gäste sowie jenes der MitarbeiterInnen bedroht, sondern zu einer tödlichen Gefahr für das ganze Land werden könnte. Womit genau es die ProtagonistInnen tatsächlich zu tun haben, erahnen wir bereits lange vor ihnen, da sowohl die Eröffnungsszene als auch das Intro dahingehend eine relativ deutliche Sprache sprechen.
Denn in beiden Fällen bekommen wir Riesenläufer (eine Gattung innerhalb der Hundertfüßer, die wiederum zu den Tausendfüßlern gezählt werden) zu Gesicht. Jedoch ist The One Hundred weniger dem Bereich des Tierhorrorfilms zuzuordnen als vielmehr jedem des Creature Features. Neben „gewöhnlichen“ Insekten hat es nämlich ein großer intelligenter Super-Tausendfüßler in den Film geschafft, der sich in menschlichen Körpern verstecken und diese übernehmen kann. Obgleich weder die albtraumhafte Kreatur noch die „Körperübernahme“ eine große Überraschung darstellen (da zuvor ausführlich und wenig subtil über eine alte Legende gesprochen wird, die beides thematisiert) wirkt The One Hundred ab einem gewissen Punkt geradezu wie Thailands verspätete Antwort auf John Carpenters The Thing.
Nur dass sich das thailändische Regie-Duo im Gegensatz zu Carpenter nicht ansatzweise so gut darauf versteht, eine dichte, von Suspense und Paranoia durchzogene Atmosphäre zu generieren. Stattdessen verwenden die beiden Regisseure (die ihrerseits nicht nur hinter der Kamera standen, sondern darüber hinaus das zugrunde liegende Drehbuch verfassten) verhältnismäßig viel Zeit auf die Hauptcharaktere. Was absolut kein Problem darstellen würde, wenn diese denn gut geschrieben wären... das ist aber nicht der Fall. Vielmehr arbeitet The One Hundred vorrangig mit Stereotypen sowie Klischees. Da wäre beispielsweise der schmierige Hotelchef, der die Lage schlimmer macht oder Leo, der einen lange zurückliegenden Schicksalsschlag nie überwunden hat, deshalb zur Gewaltbereitschaft neigt und im Verlauf natürlich Züge eines aufopferungsbereiten Helden annehmen wird. Interessant bzw. erwähnenswert sympathisch fällt letztlich keine der Figuren aus.
Das geht selbstverständlich auch ein Stück weit auf die Kappe der DarstellerInnen. Diese zeigen zwar Leistungen, die alles in allem als „ok“ zu bezeichnen sind, doch wenn es dann mal emotional werden soll, kommen sie schnell an ihre Grenzen. Das gilt speziell für den Darsteller des eben erwähnten Leo (Mike Angelo, The Misfits). Was wiederum überzeugt, sind die Spezialeffekte. Diese stammen zwar größtenteils aus dem Rechner, sehen in den allermeisten Fällen aber überraschend gut aus. Sogar so gut, dass vieles davon gar die CGI-Effekte von manch höher budgetiertem Werk in die Tasche steckt. Ebenfalls gelungen ist das herrlich insektoide Creature-Design. Menschen, die sich vor Insekten im Allgemeinen oder gar Tausendfüßlern im Speziellen ekeln, werden daher mehr als einmal feuchte Hände bekommen. So zum Beispiel, wenn in einer Szene unzählige der vielfüßigen Krabbler aus gefühlt allen nur erdenklichen Ecken strömen, was auch die Schlitze der Belüftungsanlage einschließt.
In seinen Actionszenen weist The One Hundred u. a. aufgrund von sporadischem „Tentakeleinsatz“ eine gewisse Ähnlichkeit zu dem Erfolgsmanga Parasyte auf (der u. a. der Netflix-Serie Parasyte: The Grey als Vorlage diente). Doch auch davon losgelöst muten die vorrangig mit Händen sowie Nahkampfwaffen geführten (Zwei)kämpfe Mann gegen Monster bisweilen regelrecht comichaft und dadurch wenig glaubhaft an (Takashi Miikes Manga-Adaption Terra Formars lässt grüßen). Dementsprechend wird der eine oder die andere von den Auseinandersetzungen vermutlich nicht sonderlich angetan sein. Woran es dem Drehbuch letztendlich mangelt, ist eine klare Ausrichtung. Denn je weiter die etwas über 80-minütige Laufzeit voranschreitet, desto mehr entsteht der Eindruck, dass das Regie-Duo so viel wie möglich verwursten wollte.
Hier eine Prise Horror, da ein wenig Ekel, dort ein Hauch Paranoia, ein paar Spritzer (Familien)Drama, dazu teils comichaft anmutender Kampf Mann gegen Monster und kurz vor Schluss sogar noch eine Ladung Endzeitfeeling, das so überhaupt nicht zu dem passen will, was wir zuvor gesehen haben. Thematiken wie Existenzbedrohung durch die Pandemieverordnungen oder die Frage nach der Grundlage für Bevorzugungen bei der Impfstoffvergabe finden zwar beiläufig Erwähnung, werden allerdings nicht weiter konkretisiert bzw. ausformuliert. Gar nicht erst aufgeworfen wird die Frage, wieso die Kreatur exakt jetzt in Erscheinung tritt. Hat es mit der Pandemie zu tun? Wittert sie vielleicht, begünstigt durch das Social Distancing, ihre Chance, uns zu unterwandern? Birgt eine vereinsamende Gesellschaft ungekannte Gefahren? Antworten erhalten wir keine.