Inhalt
Benjamin Button wurde an dem Tag 1918 in New Orleans zur Welt gebracht, an dem ein blinder Uhrmacher eine rückwärts laufende Uhr in der Bahnhofslobby aufhängen ließ. Mit Greisengesicht und Altersgebrechen geboren, stirbt seine Mutter kurz darauf, und sein Vater setzt ihn panisch auf der Schwelle zu einem Altersheim aus. Die Heimbetreiberin Queenie nimmt ihn spontan bei sich auf, und trotz seiner von allen prophezeiten kurzen Lebensdauer entwickelt sich Benjamin - jedoch rückwärts. Körperlich wird er immer jünger, während er das Leben im Geiste wie ein normaler Mensch kennenlernt und bald schon in die weite Welt hinaus will.
Kritik
Ein letzter Wimpernschlag, bevor sich seine Augen für immer schließen. Benjamin Button (Brad Pitt, Once Upon a Time in Hollywood) stirbt wie jeder andere Mensch: Das Leben entweicht seinem Körper mit dem letzten Atemzug. Allerdings verlässt er die Welt nicht als alter, äußerlich gezeichneter Mann, dessen Zeit schlichtweg gekommen ist, sondern als Säugling, augenscheinlich unverbracht und unbeschrieben. Augenscheinlich, wohlgemerkt, denn in Wahrheit wurde Benjamin Button als Greis geboren, um daraufhin von seinem entsetzten Vater Thomas (Jason Flemyng, Bube Dame König Gras) auf den Stufen eines Altersheimes in New Orleans ausgesetzt zu werden, wo sich die Heimleitung Queenie (Taraji P. Henson, Hustle & Flow) dem frisch geschlüpften Tattergreis annimmt, um ihn auf die größeren und kleineren Abenteuer vorzubereiten, die das Leben für den Wunderknaben bereithalten wird.
Die Lebensgeschichte von Benjamin, die kurz nach dem Ende des 1. Weltkrieg ihren Anfang nimmt, kommt jedoch erst durch die im Jahre 2005 angesiedelte Rahmenhandlung in sanfte Bewegung: Die im Sterben liegende Daisy (Cate Blanchett, Thor: Tag der Entscheidung) bittet ihre Tochter darum, aus dem Tagebuch eines alten Freundes vorzulesen: Dem Tagebuch von Benjamin Button. David Fincher (Gone Girl – Das perfekte Opfer) wechselt im Laufe der knapp 170-minütigen Laufzeit immer wieder zwischen den Erzählebenen hin und her, verbindet die niedergeschriebenen Erfahrungen Benjamins mit dem Revue passieren lassen von Daisy und entfächert dabei zusehends die gesamte emotionale Strahlkraft, die das außergewöhnliche Leben von Benjamin und die unverwüstliche Liebe zwischen ihm Daisy inne trägt. Eine Liebe, die die Dunkelheit besiegte, die das Altern mit Würde nahm und die Zeiten überdauerte.
Wenn man nicht wüsste, dass es sich hierbei um einen Film von David Fincher handelt, man würde es schlichtweg nicht glauben können. Der Regisseur, der als einer der kaltherzigsten und zynischsten seiner Klasse gilt, beweist hier sein ungemeines Feingefühl und entfaltet ein umsichtiges, aufrichtiges Epos, dem die Themen Tod, Verlust, Vergänglichkeit und, ja, die ganz große Liebe in das Fundament gemeißelt sind. Ganz und gar entschleunigt, in sich gekehrt inszeniert, von Anekdoten geschwängert und von ehrlicher Menschlichkeit beseelt, ist Der seltsame Fall des Benjamin Button die kuriose Geschichte eines Mannes, der immer jünger wird und dem Zuschauer damit verdeutlicht, was Alter wirklich bedeutet. Das Leben ist eine Ansammlung und Verkettung von Ereignissen, Gegebenheiten und Möglichkeiten – auch ungenutzten – die sich kreuzen, verschränken und Kummer, Leid und Schönheit in die Herzen befördern.
Das Beachtliche dabei ist: Der seltsame Fall des Benjamin Button verfällt niemals Rührseligkeiten und Kitsch, vergreift sich niemals an Theatralik oder übergroßen Gesten. Er bleibt, wie sein Protagonist, unaufgeregt und beobachtend. Dass sich David Finchers in erlesene Fotografien gehüllte Inszenierung dabei von einer gewissen Langatmigkeit nicht freisprechen kann, ist immer wieder durchaus spürbar, fällt in der Gesamtbetrachtung aber kaum weiter ins Gewicht, zieht der Film den Zuschauer doch ob des berührenden Umgangs mit der Verletzlichkeit seiner Charaktere geradewegs in seinen Bann. Keine Helden, keine Karikaturen, sondern Menschen, die das Leben von der Schatten- und Sonnenseite erlebt haben. Mag Der seltsame Fall des Benjamin Button auch ein Märchen sein, in den Händen von David Fincher ist es ein geerdetes, ergreifendes, lebensechtes und bereicherndes Märchen geworden.
Fazit
Die überlange Lebensgeschichte des Altgeborenen Benjamin Button ist eine der schönsten, die Hollywood seit vielen Jahren hervorgebracht hat. David Fincher beweist seine Wandelbarkeit und erschafft ein zutiefst aufrichtiges, berührendes und gefühlsechtes Drama um Tod, Verlust, Vergänglichkeit und die eine große Liebe. Mag "Der seltsame Fall des Benjamin Button" auch einige Längen mit sich bringen, der wunderbar entschleunigte, durch und durch aufmerksame Film geht dennoch gnadenlos ans Herz.
Autor: Pascal Reis