Inhalt
Die junge Ballett-Elevin Suzy kommt aus den USA nach Freiburg, um dort an einer angesehenen Schule, Tanz zu studieren. Als sie dort ankommt, beobachtet sie noch ein junges Mädchen, das aus der Schule flieht, um dann aber später in der eigenen Wohnung auf mysteriöse Art und Weise ermordet zu werden. Doch auch Suzy kommt die Schule zunehmend merkwürdig vor. Die Lehrerinnen führen ein hartes Regiment, nachts hört man seltsame Geräusche und etwas schleicht nachts durch den provisorischen Schlafsaal. Langsam aber sicher forscht Suzy den merkwürdigen Vorgängen nach und findet heraus, daß das Haus an sich eine unheimliche Geschichte hat und eine dunkle Macht beherbergt.
Kritik
„Suzy, was weißt du über Hexen?“
Der tiefe Fall einzigartiger Genreregisseure ist nicht neu und immer wieder bedauerlich, was mit Dario Argento („Phenomena“) passiert ist, wird wohl maximal nach der Obduktion ersichtlich werden. Vielleicht hat er einmal zu oft mit den Mächten des Bösen getanzt, der Fluch der drei Mütter ihn eingeholt. Das, oder Hirnschaden, anders lässt sich sein Schaffen in den letzten Jahren kaum erklären. Dagegen wirkt selbst der Werdegang eines John Carpenter („Das Ding aus einer anderen Welt“) oder der etwas milderer eines George A. Romero („Zombie – Dawn of the Dead“) wie ein Sturz mit dem Fahrrad beim Brötchenholen.
Einer der Mitbegründer des italienischen Genrekinos und des Giallo („Das Geheimnis der schwarzen Handschuhe“) erlebte zwischen den frühen 70er und späten 80er Jahren seinen Höhepunkt, schuf unsterbliche Werke, die Speerspitze (beinah in der Mitte) stellt bis heute „Suspiria“ dar, der womöglich perfekte Horrorfilm. Weil er sich nicht gänzlich greifen lässt, keinen Zwängen unterliegt, bewusst dem (einst) kreativen Gedankengut seines Regisseurs freien Lauf lässt und das Genre auf das Essenziellste reduziert: Angst. Nicht die Angst vor Schmerzen, dem Tod oder ganz rationalen Dingen, auf Urängste, bald kindlicher Natur. Dem, was wir nicht verstehen, was wir spüren, aber nicht sehen; dem was lauert, aber nicht zum Vorschein kommt. Der Angst vor dem Bösen, vor der Hexe. Der ersten Mutter. Dem Kinderschreck aus jedem Märchen.
Dario Argento erzählt im Mutterland der Gebrüder Grimm sein eigenes Märchen von unschuldigen (fast noch) Kindern, der bösen Hexe, ihrem schillernden, aufreizenden Haus und dem Grauen, was hinter ihm verborgen ist. Was sich langsam von der Furcht seiner Opfer nährt und dann so unerbittlich zuschlägt, das einem Angst und Bange wird. Denn wir verstehen zu gut, wenn auch tief vergraben in unserer Vergangenheit, was hier der Ursprung jedes Unbehagens ist. Das Argento dann auch den Akt der skrupellosen Gewalt nicht scheut, gerät bald zur Nebensache und fällt nur sporadisch auf (außer der FSK). Das Sterben ist nicht das Ziel, es gleicht einer Erlösung und wird eher befriedigend wahrgenommen, denn als affektierter Akt.
Was „Suspiria“ trotz unbestreitbarer, narrativer Schwächen – darüber muss bei Argento definitiv nicht gestritten werden -, über jeden Zweifel erhaben macht, ist seine einzigartige Inszenierung, für die es bis heute kein vergleichbares Material gibt. Wer auf eine lückenlose, stringente Geschichte hofft, hat mit Zitronen gehandelt, da war Argento nur selten gut und im Idealfall (wie hier) spielte das keine Geige. „Suspiria“ entführt uns wie seine Protagonistin Suzy (Jessica Harper, „Mädchen in den Krallen teuflischer Bestien“) bereits in den ersten Minuten in ein Paralleluniversum. Sobald sich die Türen des schützenden (Flug)Hafens öffnen, ist es um alle Beteiligten geschehen. Der Regen peitscht und GOBLIN ächzen ihr schaurig-schönes Lied des Schreckens, das einem wie ein Parasit im Nacken sitzt. Neben den Arbeiten von John Carpenter haben GOBLIN den Horrorfilm akustisch geprägt, hier ganz besonders.
Die musikalische Untermalung müsste eigentlich als Nonplusultra des Films angesehen werden, wenn sich Argento nicht auf seinem heute noch kaum zu glaubenden Höhepunkt befunden hätte. Was er allein durch Bildsprache kreiert, schafft kein aktueller (Genre)Film mit allem Drumherum. Ein Farbenspiel der Extraklasse, nicht willkürlich gewählt, sondern als (teil sogar bewusst irritierender) Leitfaden arrangiert. Tödliches Rot, trügerisch-hoffnungsvolles Grün, erleuchtendes Gelb, kühl-beruhigendes Blau, in einem exzessiven Wechselspiel der Emotionen. Alles vereint sich in einem Finale, dem nichts mehr hinzuzufügen ist. Insbesondere deshalb tragisch, wie sehr die Trilogie den Bach runter ging. Damit ist nicht (der schwächere) „Horror Infernal“ gemeint, sondern explizit „The Mother of Tears“, da war Argento bereits das kümmerliche Männlein, das gezeichnet von schweren Tränensäcken über seine alten Erfolge sinniert und offenbar nicht versteht, was diese ausmacht oder wenigstens, wo er sich gerade befindet.
Fazit
Was ist eigentlich Horror? Man kann die schlimmsten Gräueltaten detailliert darstellen und trotzdem lässt es einen kalt. Nicht, weil man abgestumpft ist (oder nicht nur), sie erreichen einen nicht. "Suspiria" ist ein Rausch, ein betörender Strudel aus Farb- und Klangkompositionen, die diese mysteriöse Schauergeschichte zu einem einzigartigen, unvergesslichen Filmerlebnis machen. Dario Argento verstand es seiner Zeit, die unterbewusste, unerklärliche Angst in uns zu wecken und über knapp 100 Minuten in einem expressionistischen, sagenhaften Fiebertraum im Knusperhäuschen zu bündeln und manifestieren, ein Meisterstück. Nicht von dieser Welt, und das ist gut so. Wer bei dem Dialog von Jessica Harper und Stefania Casin - ummantelt von der Farbe des Todes und dem Röcheln der Mutter – nicht den Atem anhält, ist kaputter als Argento’s letzte Filme. Ein sich immer wieder neu erfindendes Gemälde des Schreckens, zeitlos erschlagend, ergötzend. Deshalb dreht man Filme und schreibt keine Bücher. Wer sich noch nie in den endlosen Fluren der gespenstischen Tanzschule im Breisgau verirrt hat, weist eine filmische Bildungslücke auf, die schnellstens behoben werden sollte.