Inhalt
Kneipenbesitzer Zinos ist vom Pech verfolgt: erst zieht seine Freundin Nadine für einen neuen Job nach Shanghai, dann erleidet er einen Bandscheibenvorfall. Als er in seiner Not den exzentrischen Spitzenkoch Shayn engagiert, bleiben auf einmal auch noch die ohnehin schon wenigen Stammgäste aus. Und als wäre das nicht schon genug, taucht auch noch sein leicht krimineller Bruder Illias auf und bittet ihn um Hilfe.Während Zinos noch überlegt, wie er den Laden los wird, um Nadine nach China folgen zu können, locken Musik und die ausgefallene Speisekarte immer mehr Szenepublikum an. Das "Soul Kitchen" rockt und boomt wie nie zuvor. Doch dann überschlagen sich die Ereignisse.
Kritik
"Der Reisende ist noch nicht am Ende. Er hat sein Ziel noch nicht erreicht."
In Soul Kitchen treffen sie aufeinander: Die Pleitegeier und Pechvögel, die Glücksritter und (Über-)Lebenskünstler. Sie versuchen ihre Beziehungen irgendwie intakt zu halten; sie versuchen ihren Traum vom eigenen Restaurant nicht aufgeben zu müssen – und noch viel mehr versuchen sie, ihre Würde im Angesicht jeder noch so kniffligen bis ausweglosen Lage zu bewahren. Manchmal muss man dafür zur Notlüge greifen, zumeist aber geht man den Kampf mit entwaffnender Offenheit an. Das setzt dann eben auch mal was. Fatih Akin (Auf der anderen Seiten) hat diesen Menschen, die sich Hamburger nennen und voller Temperament durch ihren Alltag koddern, ein vitalisierendes Denkmal errichtet und gleichermaßen grell wie zärtlich offenbart, warum man der Hansestadt im hohen Norden auch als Nicht-Urgestein letztlich nur verfallen kann.
Akin, der für Soul Kitchen, der bei den Filmfestspielen von Venedig gleich zwei Preise abräumen könnte (daruner auch den Silbernen Löwen, die zweitwichtigste Auszeichnung im Wettbewerb) entfacht von der ersten Minute einen impulsiven Sog der guten Laune, wenn er uns Zinos Kazantsakis (Adam Bousdoukos, Kurz und schmerzlos) vorstellt. Einen Deutschtürken, der seinen titelgebenden Laden mit Imbiss-Kost mehr schlecht als recht über Wasser hält, seine Freundin (Pheline Roggan, Jerks), eine Auslandskorrepondentin, gerade in Richtung Shanghai verabschiedet hat und alsbald Besuch von seinem Bruder Illias (Moritz Bleibtreu, Die dunkle Seite des Mondes) bekommt, der einen Job braucht, damit ihm der tägliche Freigang aus dem Gefängnis gewährt wird. Zinos schmerzen aber nicht nur Herz und Kopf, sondern auch ein Bandscheibenvorfall, den er sich beim Anheben einer griechischen Spülmaschine einfängt.
Das Herrliche an Soul Kitchen sind zweifelsohne seine Charaktere, die so ungeschliffen und geradeaus ins Leben stolpern, dass man sie nicht nur wegen ihrer Stärken zu schätzen lernt, sondern gerade durch ihre Schwächen. Zinos möchte seiner besseren Hälfte in den fernen Osten folgen, dafür braucht er aber einen neuen Geschäftsführer für seinen Laden. Das bringt natürlich nicht nur einige seiner Vertraute in die engere Wahl, sondern ruft auch den prolligen Kapitalisten Neumann (Wotan Wilke Möhring, Goldene Zeiten) auf den Plan, der das Soul Kitchen abreißen und das Grundstück vermarkten möchte. Konflikte, die sich zusehends zu Engpässen verschlingen, noch und nöcher. Die unabdingbare Lebensfreude geht dem Narrativ deshalb aber noch lange nicht flöten. Stattdessen ist Soul Kitchen, wie Akin selber sagt, ein moderner Heimatfilm mit all seinen Tugenden und Werten.
Obgleich Soul Kitchen sich in seinen diversen Handlungsplateaus auch zuweilen etwas verhebt, was folgerichtig dazu führt, dass die einzelnen Erzählstränge letztlich nicht homogen zusammengefügt werden, bleibt diese Tuchfühlung mit der Hamburger Seele eine urkomische und durchaus rührende Liebeserklärung an Akins Heimatstadt sowie deren bunt gecheckte Bewohnerschaft. Kernig, kantig, waschechte Originale halt, die sich verzocken, aber letztlich standhaft genug sind, um sich inmitten des omnipräsenten Kiez-Muffs die Hand zu reichen, sich zu verzeihen und einzusehen, dass man seinen Milieu-Dunstkreis gar nicht verlassen muss, um sein Glück zu finden. Man muss nur etwas graben. Auch darum geht es hier: Um das Ankommen und die Kriege, die man dafür führt. Am Ende aber schneit es sanft auf Wilhemsburg hinab, fast weihnachtlich werden unsere Protagonisten zur Besinnung gebracht. In Hamburg sind Märchen eben noch möglich, andernorts wartet nur Heimweh.
Fazit
Quicklebendiger und quirliger Heimatfilm von Fatih Akin, der hier eine Liebeserklärung an sein Hamburg erschaffen hat und durch einen temperamentvollen Sog der guten Laune seine Zuschauer mitreißt. Handlungstechnisch ist "Soul Kitchen" nicht gänzlich ausgereift, dafür bereitet das Lokalkolorit und die Protagonisten jede Menge ungeschliffene Freude.
Autor: Pascal Reis