Inhalt
Bologna, 1858: Im Auftrag des Papstes dringen Soldaten in das Haus der Familie Mortara im jüdischen Viertel der Stadt ein. Sie erheben Anspruch darauf, Edgardo, den siebenjährigen Sohn der Mortaras, mitzunehmen. Als Säugling wurde der Junge heimlich von seiner Amme getauft – in diesen Fällen gilt das damals unumstößliche päpstliche Gesetz: Edgardo muss eine katholische Erziehung erhalten. Die verzweifelten Eltern tun alles, um ihren Sohn in die Familie zurückzuholen. Unterstützt von der Öffentlichkeit und der internationalen jüdischen Gemeinde, nimmt der Kampf der Mortaras schnell eine politische Dimension an. Doch die Kirche und der Papst stimmen der Rückgabe des Kindes nicht zu und nutzen den Fall, um ihre zunehmend schwankende Macht zu festigen …
Kritik
Auf einer Ebene immerhin erreicht Marco Bellocchios (Bella adormentata) klerikaler Kostümschinken eine gewisse Historizität. Seine melodramatische Megalomanie und visuelle Verstaubtheit entsprechen mehr dem Geist der Ära, die sie abbilden, als einer ansatzweise zeitgemäßen Herangehensweise an die explosive Thematik. Dass die Story dahinter auf wahren Begebenheiten basiert, scheint kaum vorstellbar angesichts der schwülstigen Schwerfälligkeit der Handlung. Die ist in mehrerer Hinsicht ein Ziehen und Zerren um einen jüdischen Jungen, den Papst Pius IX (Paolo Pierobon, Der Vollposten) den Eltern entreißt.
Bis das im Eröffnungsakt der romanesken Religionsaffäre endlich geschehen ist, braucht es eine gefüllte Ewigkeit. Währenddessen verpufft jegliche Empathie mit den gänzlich unglaubwürdigen Figuren in entnervten Überdruss. Papa Momolo (Fausto Russo Alesi, Die katholische Schule) und Mama Marianna (Barbara Ronchi, Es war Zeit) sind nicht einzigen der chargierten Charaktere, die augenscheinlich ständig ihre Meinung ändern und darum die meiste Zeit aufgescheucht herumrennen. Da wirkt es fast sympathisch, dass Pius IX. trotz Druck von Rothschild und Presse stur bei seinem Besitzanspruch verharrt.
Verwerflich ist die Umerziehung des heimlich getauften Kindes natürlich trotzdem, doch der Regisseur und seine Co-Drehbuchautor*innen Susanna Nicchiarelli und Edoardo Albinati kümmern sich wenig um die vielschichtigen Implikationen der Tat. Diese bündelt die ethische Verkommenheit der christlichen Institution, die seinerzeit mit Bestürzen das Schwinden ihrer politischen (All)Macht mitansah. Doch soweit denken soll das Publikum gar nicht. Im Gegenteil konterkariert die zähe Inszenierung die inhärente Kirchenkritik mit pietistischem Pathos. Der bringt zumindest einige Lacher.
Fazit
Mit seiner altbackenen Theatralik wirkt Marco Bellocchios Cannes Wettbewerbsbeitrag wie ein Mantel-und-Degen-Abenteuer ohne Degen und Abenteuer (aber dafür mit jeder Menge Mänteln). Statt die Gegenwartsbezüge der sensationellen Story herauszuarbeiten und die Fakten hinter dem oft kolportierten Fall zu ergründen, schwelgt die Kamera in opernhafter Opulenz und scheinheiligem Schmalz. Diese barocke Behäbigkeit zeigt exemplarisch den Neuerungsbedarf von Cannes Filmauswahl und fügt sich in das Oevre eines Regisseurs, dessen handwerklich passable Filme nicht eine frische Idee verraten.
Autor: Lida Bach