Inhalt
Hilarion Zabalas mysteriöses Geruchsproblem ist erneut aufgetreten; Ein Berater/Psychiater vermutet, dass es sich um einen anhaltenden Fall von Phantosmie, einem Phantomgeruch, handelt, der möglicherweise durch ein Trauma verursacht wurde und einen tiefen psychischen Bruch darstellt. Ein empfohlener radikaler Prozess zur Heilung der Krankheit bestand darin, dass Hilarion zurückgehen und sich mit den dunkelsten Strömungen seines früheren Lebens im Militärdienst auseinandersetzen musste. Als er in die sehr abgelegene Strafkolonie Pulo versetzt wird, muss er sich auch mit der schrecklichen Realität seiner gegenwärtigen Situation auseinandersetzen.
Kritik
Das Grauen vergangener Verbrechen legt sich wie ein giftiger Odem über die Gegenwart des traumatisierten Protagonisten Lav Diaz‘ (When the Waves are Gone) jüngsten Werks. Dessen psychosomatischer Titel verweist bereits auf die allegorischen Anklänge der sich über vier Stunden erstreckenden Abstiegs in eine brutale Biografie, stellvertretend für so viele in der seines Heimatlandes. Es ist die Hilarion Zabalas (Ronnie Lazaro, A Lullaby to the Sorrowful Misery), dessen Vorname mit seiner Bedeutung einen bitteren Bezug zu einer verlorenen Glückseligkeit, aber auch gegenwärtigen Gleichgültigkeit gegenüber der gewaltvollen Geschichte steht.
Der ehemalige Soldat leidet unter dem titelgebenden Symptom von Phantom-Gerüchen, für die es keine erkennbare körperliche Kondition gibt. Sein vermutet die Ursache in einer fundamentalen psychischen Erschütterung. Deren Ergründen führt Hilarion zurück in seine Dienstjahre beim Militär als Soldat in der Pulo Strafkolonie. Dort beobachtete er und beteiligte er sich an mit einer indoktrinierten Ideologie und dehumanisierenden Dialektik der Dienstpflicht gerechtfertigten Grausamkeiten, die gleich der gespenstischen Gerüche in Form ethischer Verrohung sein jetziges Leben überschatten.
Episoden düsterer Desillusionierung und apokalyptischer Albtraumhaftigkeit verdichten sich zu einem psychoanalytischen Panoptikum, das mit seiner ausufernden Länge fordert, aber zugleich das Publikum ganz in die historiographische Handlungswelt zieht. Diese immersive Intensität der zugleich subjektiven und sinnbildhaften Story zwing das Publikum gleichsam, neben Momenten quälenden Wartens auch verstörende Brutalität auszuhalten. Dazu zählen besonders die Szenen der sexuellen Ausbeutung der jungen Reyna (Janine Gutierrez), deren dramatisch und dramaturgisch zum Opfer degradierte Figur in mehrerer Hinsicht problematische patriarchale Tendenzen personifiziert.
In den für seinen subtil symbolischen Stil charakteristischen Schwarz-Weiß-Bildern konfrontiert der Autorenfilmer das Publikum mit einem historischen Horror in direkter Analogie zu gewohnheitsmäßigen Gräuel der Gegenwart. Jene erscheint mit dem gemessenen Voranschreiten der emblematischen Ereignisse nur noch ein durchlässiger Vorhang vor dem Verdrängten. Dessen Aufrühren konfrontiert neben dem Hauptcharakter auch die Zuschauenden unerbittlich mit ethischen Fragen, deren formelle Schlichtheit mit ihrer humanistischen Bedeutungsweite kontrastiert - wie die unprätentiöse Inszenierung mit ihrer existenzialistischen Tiefe.
Fazit
Der Pesthauch autoritären Absolutismus und generationsübergreifender Gewalt, der als psychosomatisches Phänomen in das Leben des Protagonisten drängt, beherrscht auf künstlerischer Ebene auch Lav Díaz. Sein elegisches Epos investiert die langwierige Laufzeit in das geschliffene Gewissensbild eines konditionierten Kämpfers. Dessen detaillierte Charakterisierung steht jedoch in auffälligem Gegensatz zu den reduktiven Rollen weiblicher Figuren, deren wichtigster jede psychologische Plausibilität verehrt wird. Weibliches Leid erscheint momentan, männliches monumental. Jene toxischen Tropen durchziehen die militarismuskritische Memoire gleich des titelgebende Topoi.
Autor: Lida Bach