Inhalt
Als Mitglied der Sinti und Roma ist Hugo Sennart von Kindheit an gebrandmarkt. Wegen diverser Raubüberfälle unlängst zum Tode verurteilt ist er gemeinsam mit zwei Zellenkollegen seit einem Gefängnisausbruch auf der Flucht. Als sich durch die parallelen Ermittlungen ihrer Verfolger zu dem Sageknacker Yan Juq deren Wege mehrfach kreuzen, kommt es zu einem unvorbereiteten Gipfeltreffen.
Kritik
Während des Vorspanns gleitet die Kamera ohne große Hast von schönen Stränden, über schmucklose Industriegebiete und Sozialwohnungen erschreckend linear zu den wenigen hundert Meter Luftlinie entlegenen Schuttplätzen, an denen die Wohnwagen der Sinti und Roma ihr kurzlebiges Domizil errichtet haben. Kaum ist man dort als Zuschauer angekommen, rückt auch schon die Polizei an. Razzia ist angesagt. Gesucht wird diesmal ganz konkret Hugo (Alain Delon, Der eiskalte Engel), der Einfachhalt halber „Der Zigeuner“ genannt. Wegen diverser Raubüberfälle mit Todesfolge gejagt, aber nie dingfest zu machen. Auch diesmal tritt Kommissar Blot (Marcel Bozzuffi, French Connection – Brennpunkt Brooklyn) viel zu lange auf der Stelle. Gevatter Zufall will es, dass sich seine Wege mit denen ihres zweitbesten Pferdes auf der Fahndungsliste versehentlich überschneiden. Der in Würde gealterte Safeknacker Yan (Paul Meurisse, Die Teuflischen) soll seine untreue Ehefrau vom Balkon gestoßen haben und damit ideal in den zeitliche Kontext zu einem Juwelenraub nach seinem Beuteschema passen. Zwei zum Preis von einem, aber irgendwie will diese Milchmädchenrechnung nicht exakt aufgehen. Besonders dem Umstand geschuldet, dass es bis zum Ende niemand richtig bemerkt.
Die Biographie von José Giovanni ist schon einzigartig und durchaus fragwürdig, betrachtet man alle Facetten. Künstlerisch bleibt am Ende der bemerkenswerte Werdegang vom einst zum Tode verurteilten Mörder hin zum erfolgreichen Schriftsteller und Filmemacher mit natürlich ausgezeichnetem Gespür für das kriminelle Milieu, seine grundsätzlichen Werte sollten deshalb nicht den Persil-Schein bekommen. Umso spannender ist diesbezüglich seine perspektivische Spannweite: In Endstation Schafott gelang ihm eine herausragende Klageschrift gegen die Scheinheiligkeit von angeblicher Resozialisierung, wohingegen hier der soziale Bezug zur reinen Makulatur verkommt. Die Ungerechtigkeit gegenüber der Sinti und Roma steht plakativ im Schaufenster und die Hauptfigur als ein „sozial-vergewaltigter“ Robin Hood wird idealisiert, obwohl er bei seinem „Raubzug“ gegen den Staat schlicht und einfach auch Menschen eiskalt erschießt, die nur ihren Job machen. Das Skript möchte gerne Mitleid und Aufsehen erregen, erliegt dabei aber zu sehr seinem Hang zur Ganovenehre, was in einem anderen Zusammenhang auch nicht zwingend negativ wäre. José Giovanni liegen seine Anti-Helden nun mal viel näher am Herzen als seine berechnenden Gesetzeshüter, was allgemein absolut kein Problem und sogar enorm verständlich ist. Im Resultat bleibt leider nur ein handwerklich sehr robustes, darstellerisch mehr als kompetentes (Alain Delon & Paul Meurisse könnten sich in ihren gemeinsamen Szenen auch einfach nur ein Ei in die Pfanne hauen und es wäre trotzdem irgendwie aufregend) Krimidrama, was seinem angepeilten Anspruch deutlich hinterhergingt. Dafür fachlich nicht von schlechten Eltern ist.
Fazit
Hervorragend besetzt und mit Wucht in den handwerklich relevanten Szenen krankt „Der Zigeuner“ ausgerechnet bei seiner angeblichen Priorität. Soziale Ungerechtigkeit und die Problematik der Resozialisierung ist ein Thema, aber es wird nicht sorgfältig herausgearbeitet. Das hat speziell José Giovanni an anderer Stelle schon um zwei bis drei Klassen besser zu Papier und auch auf die Leinwand gebracht. Als stabiles Krimidrama auf gehobenem Niveau zufriedenstellend und besonders durch seine beiden bärenstarken Charakter-Darsteller kaum nicht - eingeschränkt - zu empfehlen.
Autor: Jacko Kunze