Inhalt
Die 17-jährige Fanny aus Frankreich nimmt an einer Sprachreise für Schüler nach Deutschland teil. In Leipzig trifft sie ihre gleichaltrige Brieffreundin Lena, die davon träumt, als Aktivistin politisch tätig zu werden. Um Lena zu beeindrucken, erfindet die eher schüchterne und in sich gekehrte Fanny ein anderes Leben für sich, verfängt sich aber schnell in ihren Lügen.
Kritik
Der Titel Claire Burgers banalen Berlinale-Beitrags wird zum unfreiwilligen Verweis auf das allseitige Unverständnis der Regisseurin und ihrer Co-Drehbuchautorin Léa Mysius (Ava) der komplexen Themen, die sich die zwei spiegelverkehrten Handlungskapitel ihres verstaubten Familien-Doppel-Dramas aneignet. Queerness, Psychopathologie, Suizid, Alkoholismus, Mobbing und am meisten der normale Umgangston junger Menschen sind für beide eine Fremdsprache, die zu lernen sie nicht die geringste Ambition haben; umso mehr dafür, den Kinosaal zur Schulbank zu machen.
Statt Charaktere und Plot zu entwickeln, liefert das didaktische Drehbuch einen Lehrbuchtext nach dem anderen über unterschiedliche Protestkultur in der DDR, BRD und Frankreich sowie die angespannte deutsch-französische Beziehung. Die spiegelt sich plakativ in der bilingualen Beziehung der schüchternen französischen Austauschschülerin Fanny (Lilith Grasmug) und ihrer selbstbewussten deutschen Gastgeberin Lena (Josefa Heinsius), die jeweils eine Handlungshälfte im Haushalt der anderen verbringen. Nach ihrem Berufswunsch gefragt, antwortet Lena „Aktivistin“. Für was? Egal.
Feminismus, Rechtspopulismus, Faschismus, Klimawandel - Lenas Liste ist lang und beliebig wie die der Regisseurin. Ein peinlicher Mangel an Selbstreflexion, gerade für ein Coming-of-Age-Drama, das der jungen Generation Selbstüberschätzung, ethische Arroganz und politische Prätention vorhält. Jugendliche Probleme und Politisierung sind hier so gleichgültig wie das Krankheitsmuster der Fanny angehängten Zwangsstörung. Jene verpufft gemeinsam mit dem Wirrwarr konstruierter Konflikte, die so halbherzig umrissen werden, dass man nicht mal von Behauptung sprechen kann.
Fazit
Das Originellste an Claire Burgers pseudo-politischem Potpourri ist dessen Affinität zu ausgerechnet jenen Fehlern, die es den Protagonistinnen stellvertretend für die Jugend vorhält. Sämtliche Figuren sind wandelnde Seifenoper-Stereotypen, deren Dialoge nicht hölzern sind, sondern Pressspan. Die Message, die zwischen voyeuristischen Fetisch-Szenen und Schulvorträgen in politischer Weltkunde durchdringt, schwankt zwischen trivial und toxisch: Mobbing-Opfer sind selber schuld, psychische Störungen bloß schlechte Angewohnheiten und Alltagsrassisten harmlos. Das passable Darstellerinnen-Duo ist dagegen machtlos.
Autor: Lida Bach