Inhalt
Im Januar 2017 ging in den sozialen Netzwerken das Video eines jungen Gambiers namens Pateh Sabally viral, der in den Gewässern des Canale Grande in Venedig ertrinkt. Vom Ufer aus waren Passanten zu hören, die ihn beleidigten, anstatt ihm zu helfen. Rund 4000 km weiter erzählen die Stimmen und Gesichter seiner Familie die Geschichte, die dieser Tragödie vorausging, die Geschichte hinter den Bildern.
Kritik
Er würde lieber vor Pateh stehen und mit ihm reden, statt an seiner Stelle Fragen in einem Film zu beantworten, sagt ein Bekannter des jungen Protagonisten Jean-François Ravagnans dokumentarischen Requiems. In bewusst schlichten, gemessenen Bildern lässt der französische Regisseur die Angehörigen Pateh Saballys zu Wort kommen und besucht die Orte, an denen der 22-Jährige aus Gambia verweilte, bevor er starb. Ein Video der letzten Minuten vor diesem Moment eröffnet den kontemplativen Nekrolog, der im Rahmen des Visions du Réel Film Festivals seine Premiere feiert.
Das Video von 22. Januar 2017 zeigt Sabally am helllichten Tag im Wasser von Venedigs Grand Canal, einem Ort, der praktisch ständig von Touristen wimmelt. Im Hintergrund ertönen Rufe. „Hey, Afrika!“, „Dummer Idiot“, „Warum schwimmst du nicht nach Hause!“, „Ertränk dich besser!“ Ein vorbeifahrendes Boot wirft einen Rettungsring, aber Sabally kann ihn nicht erreichen. Ravagnan zeigt nur einen Ausschnitt des durch zahlreiche Handy-Videos dokumentierten Geschehens, gerade genug zum Erfassen der Situation. Ihr Ausgang ist bekannt. Pateh Sabally ertrank während Dutzende zuschauten und ihn rassistisch beschimpften.
Die Videos, die sich auf Social Media rasant verbreiteten, zeigen das unmenschliche Ausmaß alltäglichen Rassismus und die perverse Lust an einem schrecklichen Spektakel. Die Bilder seines Todes gelangten bis nach Gambia zu Saballys Familie und Freunden. Ihr Schmerz, ihre Trauer und das stumme Entsetzen geben den ruhigen Aufnahmen eine tragische Schwere. Der Regisseur selbst spricht niemals; eine Zurückhaltung, die der räumliche Abstand zu den Personen unterstreicht. Persönliche Erinnerungen, letzte Worte und verlassene Orte beschwören den Geist eines Menschen, dessen Schicksal zu einem verstörenden Symbol wurde.
Fazit
Lange Pausen zwischen den Berichten der Familienangehörigen und Bekannten Pateh Saballys, dessen posthumes Porträt Jean-François Ravagnans deprimierendes Dokument umreißt, lassen deren Worte umso bedeutsamer nachwirken. Indem er nicht wie so oft den Tätern eine Bühne gibt, sondern den Hinterbliebenen, unterstreicht der Regisseur den menschlichen Verlust. Die minimalistische Form verzichtet auf alle dramaturgischen Schnörkel, auf Soundtrack und Hintergrundkommentar. Das Gefühl von Mangel, von schmerzlicher Abwesenheit durchdringt die Inszenierung. Ravagnans bemüht sich spürbar, das Ereignis nicht auszubeuten.Dennoch bleibt die Frage, ob eine Außenperspektive die angemessene ist.
Autor: Lida Bach