Inhalt
Acht Jahre nach dem verheerenden Tsunami sind die Wunden Japans und seiner Menschen noch nicht verheilt. Auf der berührenden Suche nach Antworten begibt sich Haru auf eine lange Reise voller Begegnungen in ihre Heimatstadt, wo sie ihre Familie in den Fluten verlor.
Kritik
Vor dem Hintergrund der Erdbeben in Japan im Jahre 2011 erzählt Nobuhiro Suwa (Ein Perfektes Paar) von einem kollektiven wie individuellen Trauma. Voices in the Wind ist ein behutsam stiller Film über die, auf wahren Begebenheiten basierende, Reise der siebzehnjährigen Haru (Serena Motola) zu ihrer Heimat Otsuchi, eine der vielen Städte, die von einem Tsunami erfasst wurden. Im Alter von 11 Jahren verlor Haru durch dieses Unglück ihre gesamte Familie und scheint erst jetzt bereit zu sein, diesen Verlust aufzuarbeiten. Wonach sie genau sucht oder zu finden hofft bleibt relativ im Unklaren, denn Voices in the Wind hält sich nicht mit dem Ausformulieren dieser emotionalen Suche nach Katharsis auf. Stattdessen gelingt Suwa ein schmerzhafter Nachruf auf die Verlorenen und gleichzeitig ein tröstender, empathischer Appell an das Leben, welcher sich dank der zurückgenommenen Inszenierung nie eingeschoben anfühlt.
Die Menschen denen Haru auf ihrem Weg zur erhofften Erlösung von ihrem Schmerz begegnet, unter ihnen ein Geschwisterpaar und ein heimatloser Fahrer, erzählen alle ihre eigenen Erfahrungen mit dem Unglück, dessen Ausmaß durch fast jede der sehr langen, oftmals statischen, Kameraeinstellungen hallt. Während die stark passive Protagonistin den Weg nach vorne beschreitet scheint der Film den Stillstand zu suchen, den Moment des Innehaltens und des Verstehens. Haru, permanent in Schuluniform gekleidet, steht stellvertretend für eine Generation, für die das Trauma Teil des Lebens geworden ist und erst jetzt beginnen kann, aus ihm zu lernen. Ihre Begegnungen ergeben summiert einen Querschnitt durch die japanische Gesellschaft und deren Verhältnis zu der nationalen Tragödie. Durch Suwas präzise Beobachtungsgabe schafft es der Film durch die langen Dialogszenen Momente von Nächstenliebe und Verständnis festzuhalten. Ein Mann rät Haru simpel „Bleib am Leben“. Manchmal ist das bereits genug.
Während Hauptdarstellerin und Newcomer Serena Motola eine emotional mitreißende Leistung abliefert verbliebt Harus Charakter jedoch als blinder Fleck des Filmes. Während sie die meiste Zeit der Laufzeit mehr als stille Beobachterin agiert, die ihre Gegenüber oftmals wortlos ausreden lässt, gibt es direkt zu Beginn des Filmes einen emotionalen Zusammenbruch ihrerseits. In einer Szene wirft sich Haru heulend auf den Boden einer leeren Baustelle und schreit im Angesicht ihrer Trauer weinend den Himmel an. Was als tragischer Höhepunkt inszeniert ist fühlt sich plakativ und in Hinblick auf den Rest des Filmes sehr eingeschoben an. Suwa vertraut in solchen Momenten nicht den subtilen Ausmaßen der vermittelten Trauerarbeit. Man bekommt das Gefühl, ein paar mehr Blicke auf Haru selbst hätten ihren Charakter zu mehr als zum Katalysator eines kollektiven Unglücks machen können. Der stillen Kraft des Filmes tut dies jedoch keinen Abbruch.
Fazit
„Voices in the Wind“ ist ein langsamer wie anrührender Film über den Wunsch, endlich mit dem Vergangenen abschließen zu können und den Weg zur emotionalen Aussöhnung.
Autor: Jakob Jurisch