Inhalt
J.D. Vance, ein früherer Marine aus dem Süden Ohios und derzeit Jurastudent in Yale, steht kurz davor, den Traumjob seines Lebens zu ergattern, als eine Familienkrise ihn in die Heimat zurückruft, die er eigentlich vergessen wollte. J.D. bekommt es nun mit den komplizierten Verhältnissen seiner Familie aus den Appalachen zu tun, unter anderem mit der schwierigen Beziehung zu seiner suchtkranken Mutter Bev (Amy Adams). Mithilfe der Erinnerungen seiner Großmutter Mamaw (Glenn Close) – die resolute und brillante Frau, die ihn großgezogen hat – erkennt J.D. bald, dass er zur Erfüllung seiner Träume zunächst seine Wurzeln akzeptieren muss. Der Film ist ab dem 24. November 2020 auf Netflix erhältlich.
Kritik
J.D. Vances Buch Hillbilly-Elegie erschien 2016 in den Vereinigten Staaten und wird immer wieder herangezogen, wenn es zu der Frage kommt, warum gerade die weiße US-Unterschicht, gerne abfällig als White Trash bezeichnet, für den Wahlsieg von Donald Trump mitverantwortlich war und warum sie ihn trotz all seiner menschenverachtenden Entgleisungen gewählt haben. Vance literarische Mischung aus Sachbuch und Autobiografie wurde von der Kritik gefeiert und natürlich war eine Verfilmung nur eine Frage der Zeit. Nun ist sie da. Netflix hat sich die Rechte geschnappt und für die Regie Oscar-Gewinner Ron Howard (The Da Vinci Code - Sakrileg) an Bord geholt, der damit zum ersten Mal exklusiv für den Streamingdienst arbeitet. Vielleicht wäre jemand anderes auf dem Regieposten eine bessere Wahl gewesen.
Denn mag das Buch von J.D. Vance noch so gut erklären wie die weiße Unterschicht der USA funktioniert, welche Form von gesellschaftlichen und ökonomischen Formen und Regeln sie folgt, im Film ist davon nicht wirklich viel zu merken. Klar, Geldnot, schlechte Jobs und Leben am Existenzminimum gibt es viel in Netflix' Hillbilly-Elegie zu bestaunen, doch konzentriert sich Howard und seine Drehbuchautorin Vanessa Taylor (Shape of Water - Das Flüstern des Wassers) lieber auf die familiären Konflikte der Sippschaft Vance und lassen alles andere davon regelrecht erdrücken. Wenn der Abspann beginnt, hat man ein ausuferndes und mit wummernden Gesten vollgestopftes Drama gesehen, dass sich hauptsächlich als Aufsteigergeschichte versteht. Aus dem jungen Hillbilly J.D. ist ein Jurastudent der Elite-Universität Yale geworden, der mittlerweile (im echten Leben) äußerst erfolgreich als Kapitalmanager seine Brötchen verdient. Das Potenzial dahinter wurde liegengelassen.,
Da ist es ein schwacher Trost, dass mit Amy Adams (Vice - Der zweite Mann) als Mutter und Glenn Close (The Girl with All the Gifts) als Großmutter gleich zwei herausragende Schauspielerinnen zur Besetzung gehören. Doch egal wie lautstark die beiden sich zanken, ihr Spiel berührt nicht. Es fehlen Zwischentöne und Nuancen. Wie der gesamte Film, so ist auch ihre Darbietung so vehement auf gefälligen Oscar-Contender getrimmt, dass es manchmal fast schon komisch wirkt, wenn sie sich als Mom und Meemaw auf der Straße fetzen. Warum sie das tun? Woher dieses emotionale Pulverfass stammt? Dies versuchen Howard und Taylor zwar klarzumachen, aber das Narrativ des Dramas lässt leider keine wirkliche Progression zu.
Das liegt an der Entscheidung immer wieder in den Zeitebenen umherzuspringen. Gerade ist man in J.D.s Kindheit, dann wieder in seiner Zeit an der Uni und plötzlich wird eine Szene aus der Vergangenheit weitergeführt, die gut eine Stunde zuvor abrupt, grundlos und unbefriedigend verlassen wurde. Hillbilly-Elegie hat keinen narrativen Rhythmus und dadurch fällt es enorm schwer so etwas wie Empathie zu empfinden. Das Drama schreit es einem im Grunde zu jeder Sekunde lautstark entgegen: Es geht nur darum zu zeigen, dass auch Menschen aus armen Familien es schaffen können, in der heutigen Welt aufzusteigen. Sie müssen halt nur kämpfen und Opfer bringen.
Warum das so ist? Diese Frage beantwortet Hillbilly-Elegie nicht. Das ist auch nicht weiter schlimm. Es ist nur unglaublich enttäuschend, nachlässig und irgendwie auch feige von den Machern, dass sie diese Frage im Film niemals stellen. Um die große Enttäuschung perfekt zu machen, bleibt Schauspieler Gabriel Basso (The Kings of Summer) als erwachsender J.D. stets viel zu blass, während Haley Bennett (Die Glorreichen Sieben) als seine Schwester immer ein wenig so wirkt, als wüsste sie selbst nicht so recht, in welcher Produktion sie hier gelandet ist.
Fazit
Die Vorlage erzählt von einer Familie, die durch ihren niederen gesellschaftlichen Stand offen ist für politischen Parolen. Der Verfilmung ist das herzlich egal. Ron Howard liefert hier eine holzschnittartige Aufstiegsgeschichte ab, die sich mehr interessiert an den eigenen Oscar-Chancen, als an einer ernsthaften Auseinandersetzung mit großen gesellschaftlichen Themen. Da können sich Amy Adams und Glenn Close noch so laut und theatralisch auf der Straßen anbrüllen, dieser Film bleibt eine große Enttäuschung.
Autor: Sebastian Groß