8.3

MB-Kritik

Happiness 1998

Comedy, Drama – USA

8.3

Jane Adams
Jon Lovitz
Philip Seymour Hoffman
Dylan Baker
Lara Flynn Boyle
Justin Elvin
Cynthia Stevenson
Lila Glantzman-Leib
Lily Lan
Gerry Becker
Rufus Read
Louise Lasser
Ben Gazzara
Camryn Manheim
Arthur J. Nascarella
Molly Shannon

Inhalt

Joy ist eine scheue junge Frau, die sich immer in die falschen Männer verliebt und dann mit den Konsequenzen leben muss. Ihre beiden Schwestern Helen und Trish sind vollkommen anders: Helen ist eine erfolgreiche Autorin, die herzlich wenig Interesse an Männern zeigt, obwohl sich jeder nach ihr umdreht. Trish ist verheiratet und ahnt nichts von den heimlichen Vorlieben ihres gut situierten Mannes. Hinzu kommt, dass die Eltern der drei Frauen an eine Scheidung denken, da der Vater das Alleinsein genießen möchte. Zuletzt wäre da noch Helens kauziger Nachbar Allen, der eine große Leidenschaft für sie hegt und sich der zudringlichen Kristina, einer anderen Nachbarin, nur schwer erwehren kann.

Kritik

Frauenwünsche, Männertriebe und das Lechzen nach Glück

Der Titel des Episodendramas „Happiness“ hat das Potenzial, in die Irre zu führen. Denn Glück ist nur unterschwellig das Thema dieses Films. Die Charaktere sind zwar allesamt auf der Suche nach ihrem persönlichen Glück, doch ist es nicht diese Basisemotion, die denFilm dominiert. Es ist eher der Mangel an Glück, der hier thematisiert wird und mit erdrückender Last auf das Publikum wirkt. Regisseur und Drehbuchautor Todd Solondz („Willkommen im Tollhaus“, 1995) schafft es mit Leichtigkeit, die Geschichte einiger Menschen zu erzählen, die schrecklicher nicht sein könnte und doch fast immer auf der Wellenlänge des Alltäglichen schwimmt. Nur selten entwickelt er einen Erzählstrang, der über eine real vorstellbare Situation hinausgeht und karikaturistisch überzeichnet ist. Mit dieser Grenzüberschreitung bewegt sich Solondz dann jedoch auf gewagtem Terrain, das entweder als unauthentischer Unsinn oder kunstvolle Ausdrucksweise interpretiert werden kann. Um das bewertenzu können, muss man sich der Frage annähern, was der Regisseur uns im Grunde mit seinem Werk sagen will.

Auf fesselnde Weise ziehen einen die Schauspielleistungen schon gleich zu Anfang in ihren Bann. Die erste Szene zeigt beängstigend deutlich, was Menschen sich allein auf der verbalen Ebene anzutun vermögen und welche grausamen Folgen das für die Gefühlswelt der beteiligten Personen haben kann. Sie ist Ausdruck einer grenzenlosen Frustration, die sich als Konsequenz aus dem besagten Mangel an Glück generiert. Die neurotische Joy Jordan (Jane Adams) macht diesem grundlegenden Ärger Luft und beeinflusst damit das Leben von Andy (Jon Lovitz) maßgeblich. Ein anderer Charakter des Films ist Allen (Philip Seymour Hoffman), der, wenn man es mit Freuds Blickweise betrachten würde, auf einer frühen Stufe der psycho-sexuellen Entwicklung fixiert zu sein scheint. SeineAnnäherung an vermeintliches Glück besteht darin, fremde Frauen im Telefonbuch ausfindig zu machen, sie anzurufen und sich dabei selbst zu befriedigen. Die Krönung der Perversion bildet hingegen Trish Maplewoods (Cynthia Stevenson) Ehemann Bill (überragend gespielt von Dylan Baker), der Psychiater ist und seinem vorpubertären Sohn erst väterliche Ratschläge zur Entdeckung seiner Sexualität gibt und ihm später ein absolut abgründiges Geständnis macht. Diese Szene ist unheimlich ergreifend und so undenkbar grauenvoll zugleich, wenn man die Psyche des Jungen dabei im Auge behält. Und „Happiness“ hält viele derlei schwarzhumorige, grenz-psychopathologische Begebenheiten auf Lager.

Wenn man davon ausgeht, dass Todd Solondz dem Publikum eine der drastischsten, wenn nicht sogar die drastischste Darstellung der Abgründigkeit des menschlichen Innenlebens präsentieren wollte und mit der Überzeichnung (Allens Nachbarin hütet ebenfalls ein schreckliches Geheimnis) dem Nachdenken über die Schicksale Nachdruck verleihen wollte, kann „Happiness“ als wirkungsvoll und in gewissem Maße brillant bezeichnet werden. Falls seine Intention aber darauf abzielt, dass er einfach nur auffallen wollte und Aufmerksamkeit zu erhaschen hoffte, kann ihm dieser Film auch als Laster angehängt werden. Denn er überschreitet nicht nur den Realitätsbezug betreffend eine Grenze, sondern stellt gesellschaftlich vermiedene Themen auf eine Weise dar, die zutiefst erschütternd und beängstigend ist. Solondz vereinigt in seinem Film Charaktere, die in mindestens einer Hinsicht hochgradig von der Norm abweichen und erweckt damit den Eindruck eines pessimistischen Menschenbildes. In Anbetracht dessen sei der Film auch lediglich einem altersgerechten, hartgesottenen Publikum zu empfehlen.

Zurecht wird „Happiness“ immer wieder mit Sam Mendes´ „American Beauty“ verglichen, der nur ein Jahr später herauskam und weitaus bekannter ist. Beide Filme werfen einen Blick hinter die brüchige Fassade amerikanischer Kleinstadtbürger. Sie offenbaren hässliche Gedanken, Wünsche, Gefühle und Triebe, über die sich nicht einmal die Charaktere selbst wirklich im Klaren sind. Doch während „Happiness“ sich vor allem an freud´schem Gedankengut orientiert, indem er die sexuelle Seite in den Vordergrund kehrt, wendet sich „American Beauty“ fast größenwahnsinnig auch noch anderen Themen wie Rassismus, Voyeurismus und Homophobie zu. Wo „American Beauty“ mit brachialer physischer Gewalt kommt, bewegt sich „Happiness“ zu jedem Zeitpunkt im Bereich der psychischen Folter des Zuschauers durch unweigerliche Imagination der Geschehnisse und erlangt damit eine größere Schockwirkung. Ganz zu schweigen von den Dialogen, die einem das Blut in den Adern gefrieren lassen. So kann „Happiness“ durchaus als der bissig-bösartige große Bruder von „American Beauty“ bezeichnet werden, was aber nichts über die relative Qualität aussagt.

Das Glück kommt in „Happiness“ also nur in Form eines in der Ferne schwebenden, ausschließlich vorübergehend erreichbaren Ziels vor und dominiert damit zwar die Motivationsstile der Charaktere, nicht aber die Atmosphäre des Films. Die Wurzel des kurzweiligen Glücksmoments ist von destruktiver Natur und schafft es zu keinem Zeitpunkt, Beständigkeit in die Hochphasen der Personen zu bringen. Trotzdem gelingt es dem Regisseur, den Zuschauer bei der Stange zu halten. Einerseits durch ein hautnahes Erleben wahrhaftiger zwischenmenschlicher Beziehungen und Konflikte, andererseits durch geschickt eingesetzte, dezente musikalische Untermalungen. Wenn Joy ihre Gitarre in die Hand nimmt und halb freudig, halb melancholisch zu singen beginnt, kann man sich über eine Verschnaufpause freuen und die chaotisch versprengten Emotionen wieder ordnen.

Fazit

Happiness“ ist ein vielschichtiges, hyperintensives Drama, das einem noch lange in Erinnerung bleibt und Potenzial zur Hassliebe in sich birgt. Ein Film, den man gesehen haben sollte, aber sich bestimmt nicht direkt noch ein zweites Mal zu Gemüte führen wird. Wem Werke wie „American Beauty“ oder „Little Children“ zusagen, der ist geradezu verpflichtet, sich in die Hölle von „Happiness“ zu begeben. Ein gewagter Film, der Themen wie Sexualität und Einsamkeit auf eine einzigartige Weise darzustellen versteht. Zu einem nahezu makellosen Drehbuch gesellen sich exzellente Schauspieler und eine anrührende Musik.

Autor: Jonas Göken
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