Inhalt
Eines Tages klinkt Lester aus: er erpreßt von seinem Chef eine Abfindung, wohnt in der Garage, kauft vom Nachbarsjungen Gras, stemmt Hanteln, begehrt endlich gegen seine karrieregeile Gattin auf und träumt von der lolitahaften Freundin seiner Tochter. Seine Frau jedoch kämpft ebenfalls mit sich, ihren Plänen, ihrem Mann und einer Affäre, während die Tochter erste zarte Bande zu dem ebenso seltsamen Nachbarsjungen knüpft. Bald ist nichts mehr so wie es war und kulminiert in einer regnerischen Nacht in einer Tragödie.
Kritik
So manche Schauspieler und Filmstar ist für das breite Publikum synonym mit einem der Charaktere, die er/sie mal verkörpert hat. Besonders offensichtlich wird das, wenn Darsteller einer Figur über Jahre hinweg Körper und Stimme leihen, bei Serien zum Beispiel. Selbst in der Hinsicht hätte Kevin Spacey dank „House of Cards“ ein gutes Argument für eine Rolle, mit der er von nun an stets verbunden wird. Doch spielte Spacey in der Vergangenheit auch Figuren nur einmalig in einem einzigen Film, machte das so gut, dass er in die Herzen der Zuschauer kam und dort unsterblich wurde. Eine dieser Figuren, die nicht mehrere Staffeln benötigt, um vollends in der Wirklichkeit anzukommen und zu einer Referenz in der Pop-Kultur zu werden, ist Lester Burnham. Kevin Spacey wurde nur wenige Jahre nach seiner ebenfalls weltbekannten Rolle in „Die üblichen Verdächtigen“ noch unsterblich, als er begann, Lester zu spielen. Natürlich wusste er das da noch nicht.
„American Beauty“. Ein Filmtitel, den man sich auf der Zunge zergehen lassen kann, klingt er doch reich an Versprechungen. Es gehört quasi zum guten Ton, diesen Film gesehen zu haben. Diese Kritik stammt von einem Nachzügler. Und dennoch dauert es tatsächlich nicht lange, bis deutlich wird, dass dieser Film aus jeder Pore den gesamten Katalog der Qualitäten atmet, die zeitgenössische amerikanische Independent-Produktionen ausmachen. Der aktuelle Schwall an Indie-Coming-of-Age-Filmen wäre so ohne die Vorarbeit von Sam Mendes ("Skyfall") und seinem Team wohl nicht möglich. Das beginnt mit dem herrlichen narrativen Monolog, wird mit der sanften Inszenierung fortgeführt und endet mit der genüsslichen Demontage des amerikanischen Durchschnittslebens, die an Zynismus streckenweise nicht zu überbieten ist. Ein zweistündiger Blick hinter die glänzenden Fassaden amerikanischer Vorstädte, mit freundlicher Unterstützung von einem britischen Gespann.
Und was ist der amerikanische Durchschnitt? Der perfekt getrimmte Rasen, die weiße Zähne der Ehefrauen, das penibel gesäuberte Haus, oder die Tatsache, dass nur hinter geschlossenen Türen und in aller Einsamkeit Gefühle (jedenfalls für ein paar Sekunden) zugelassen sind? Als Lester sagt, er wolle nicht mehr für den Teufel arbeiten, reagiert seine Ehefrau (Annette Bening) eher schnippisch und sagt ihm sinngemäß, er solle sich mal nicht so anstellen. Sam Mendes deckt einiges auf, manchmal zynisch, dann wieder herrlich ironisch, manchmal gar lässt er sanfte Ruhe walten. Und dennoch reißt er konsequent Schicht für Schicht die Fassade des Spießbürgertums ab und hört nicht auf, bevor nicht wirklich alles zerstört ist und jeder Stein umgedreht wurde. Lester stürzt in seine Midlife-Krise und wird erneut zum Teenager mit allen drolligen Eigenheiten, die man da erwartet. Er ist schüchtern am Telefon (obwohl Telefonieren sein Beruf ist) und rennt durch den Flur, wie ein Kind, das nicht erwischt werden will. Momente wie diese sind Gold wert.
Als wäre dieser Film nicht für sich schon beeindruckend genug, handelt es sich hier auch noch um Sam Mendes’ Debütwerk. Mendes macht vieles richtig in seiner ambivalenten Art, reißt hier einige Brücken ein, findet aber mitunter zu selten Zeit, um neue entstehen zu lassen. In der Hinsicht könnte man dem Film beinahe Böswilligkeit gegenüber den Amerikanern vorwerfen, wenn Mendes nicht immer wieder eine Stärke einstreuen würde. Und die findet sich nicht im Hause Burnham, sondern gegenüber, unter dem Dach von Col. Frank Fitts (auch toll: Chris Cooper, "August in Osage County") und seinem Sohn Ricky (Wes Bentley). Die Beziehung der beiden ist herzzerreißend stark und auf den Kopf gedreht. Ein volljähriger Sohn, der um die Makel seiner Eltern weiß und mehr Empathie, Verständnis und Größe zeigt, als alle Menschen um ihn herum. Ricky, dessen Leben das reine Chaos ist, pendelt zwischen den beiden Seiten des Voyeurismus. Mal ist er Beobachter, aber eigentlich wird er selbst immer und immer beobachtet und unterdrückt. So sehr, dass der größte Traum für ihn ist, sich einmal so leicht fühlen zu können, wie eine Plastiktüte, die im Wind weht.
Fazit
Mit „American Beauty“ wurde Kevin Spacey unsterblich und Sam Mendes zu einem Schwergewicht in der Filmszene und das ist beides nicht überraschend. Zwar mag der Film nicht immer die perfekte Balance zwischen der Inszeniertheit des klassischen Films und dem schlauen, selbstreferenziellen Stil des postklassischen Films finden. Jedoch ist einfach jede Szene in irgendeiner Weise berührend, herausragend gespielt, einfallsreich und mit großer Weitsicht inszeniert. Hin und wieder mag man über Momente stolpern oder den Eindruck haben, dass gewisse Tricks und Kniffe der Regie nicht funktionieren mögen und jenes als Makel an einem Meisterwerk interpretieren - nur um Sekunden später zu merken, dass selbst diese Zweifel teils mit eingeplant waren. Kurz: „American Beauty“ ist ein sehr guter Film. Natürlich wusstet ihr das schon.
Autor: Levin Günther