Inhalt
Die 32-jährige Petrunija hat Geschichte studiert und lebt bei ihren Eltern in einer Kleinstadt in Mazedonien. Als Historikerin sind ihre beruflichen Aussichten schlecht. Deswegen zwingt ihre Mutter sie zur Arbeitssuche, zu der dubiose Treffen mit abstoßenden Arbeitgebern gehören. Als einer dieser potenziellen Chefs Petrunija nach dem Vorstellungsgespräch sagt, dass sie zu alt und hässlich sei und mit ihrem Geschichtsstudium nicht einmal als Näherin tauge, lässt sie anschließend ihrem Frust freien Lauf. Zufällig trifft sie auf eine Prozession, die zum Fluss führt. Es ist Dreikönigstag, und traditionell wirft an diesem Tag der Priester bei der Großen Wasserweihe ein gesegnetes Kreuz in das Wasser. Junge Männer springen in die eisigen Fluten, um danach zu tauchen. Glück, Freude und Wohlstand sind dem garantiert, der es zurückbringt. Doch dieses Mal springt auch Petrunija in den Fluss – und taucht mit dem Kreuz in der Hand auf. Die Hölle bricht los, und ihre Heldentat gilt als waschechter Skandal. Aber Petrunya hält das Kreuz fest. Sie hat es gewonnen und wird es nicht aufgeben.
Kritik
In ihrem fünften Spielfilm entwirft die nordmazedonische Regisseurin Teona Strugar Mitevska (I Am from Titov Veles) ein interessantes Szenario über eine Frau, die jene Regeln innerhalb ihrer Gesellschaft in Frage stellt, die weithin als Gesetze angenommen werden. Mit dem Preis der ökumenischen Jury auf der Berlinale 2019 ausgezeichnet, verfolgt sie in dem auf einem Vorfall aus dem Jahr 2014 basierenden Gott existiert, ihr Name ist Petrunya gemeinsam mit ihrer Co-Drehbuchschreiberin Elma Tataragić (Stitches) diese feine Linie, an der auch das Patriarchat und die Misogynie, religiöse Gebote und die ‘Gesetze’ des Medienbetriebs verlaufen.
Zu einer Zeit, da es fast ausschließlich die Metropolen sind, die in überregionaler Medienberichterstattung stattfinden, gilt es umso mehr, unsere Blicke auf die ländlichen Regionen nicht zu verschließen, jedenfalls dann, wenn man verhindern möchte, mit einer medialen Schwerpunktsetzung die zunehmende ländliche Bedeutungslosigkeit noch zu befeuern. Gegen Mitte des neuen Filmes der im ehemaligen Jugoslawien geborenen Teona Strugar Mitevska unterhalten sich die Reporterin Savica (Labina Mitevska, Welcome to Sarajevo) und ihr namenloser Kameramann (Xhevdet Jashari, Babai) über ihren aktuellen Einsatz in der Kleinstadt Štip. Sie sollten den Fall ruhen lassen, so der Kameramann, es sei an der Zeit, in die nordmazedonische Hauptstadt Skopje zurückzukehren. Dort sei wenigstens etwas los. Beide stammen aus der Hauptstadt, und beide werden per Handy wiederholt an familiäre und berufliche Verpflichtungen erinnert, denen sie allmählich nachgehen sollten. Als der Kameramann schließlich vor dem Chef einknickt und den Rückweg antritt, bleibt die Reporterin hartnäckig, nicht willens, vom aktuellen Fall abzulassen. Doch was war eigentlich geschehen?
Als ihre Mutter Vaska (Violeta Sapkovska, Lazar) die 32-jährige Petrunija (Zorica Nusheva) aus dem Haus komplimentiert, um bei einem Vorstellungsgespräch in einer Textilfabrik vorzusprechen, gestaltet sich jenes Job-Interview als größtanzunehmendes Unglück. In einer Szene, wie man sie sonst eher bei Lena Dunham erwarten würde, wird Petrunija vom jungen Chef, der sich in seinem panoptikumartigen, gläsernen Büro in der Mitte der Fabrik als omnipotenter Businessman geriert, mehrfach gedemütigt. Denn spätestens, als alle jungen Arbeiterinnen die Haupthalle verlassen, wird deutlich, wie Vorstellungsgespräche hier für gewöhnlich ablaufen. Zunächst, weil er für ihren Universitätsabschluss angesichts ihrer mangelnden Praxiserfahrung nur Hohn übrig hat, dann, als er mit den Worten, er sei kein Arschloch, beginnt, sie sexuell zu berühren, was in ihr zunächst Ärger auslöst, dann jedoch in Verlangen umschlägt. Als dieser seine Bewegungen jäh stoppt, endet das Gespräch mit dem Fazit, dass er sie so, ohne Arbeitserfahrung nicht anstellen, ja, hässlich, wie sie sei, “nicht einmal ficken” würde. Unklar, wohin mit ihren Gefühlen, stürmt Petrunija aus dem Haus, wo sie Zeugin einer religiösen Prozession wird, bestehend aus einer Gruppe von vornehmlich halbnackten Männern, die traditionell am 19. Januar, dem Tag des Dreikönigsfest, umherziehen. Das Ende einer jeden solchen Prozession markiert das vom Priester in den Fluss geworfene Kreuz, dem die Legende nachsagt, es solle dem Ersten, der es in seine Hände bekommt, ein Jahr lang Glück bescheren.
Einem Impuls folgend, ist es Petrunija, die als erste das Kreuz erreicht und sich sich somit zur ersten Fängerin der Geschichte macht. Vom ‘Tatort’ fliehend, macht sie sich hastig auf den Weg nach Hause. Doch weder von ihrer konservativen Mutter, die sich in einem sich nun aus ihr herausbrechenden Ekel von ihr abwendet, noch von ihrem sie bedingungslos liebendem, doch ratlosen Vater (Petar Mircevski, On the Milky Road), noch von ihrer besten Freundin Blagica (Andrijana Kolevska) kann sie Unterstützung erwarten. Als sich herausstellt, dass ein Video des Vorfall während der Prozession herumkursiert, schalten sich sowohl die Polizei als auch ein Reporterteam ein, um Petrunija ausfindig zu machen. Es dauert nicht lang, da steht auch schon die Polizei vor der Tür, um Petrunija mit aufs Revier zu nehmen. Die Frage ist: Warum eigentlich?
Von nun an spielt sich alles hauptsächlich auf dem Polizeirevier ab, ein Setting, das Genre-Fans an Zombie-Filme erinnern mag. Und tatsächlich heißt es auch in diesem Film, sich vor einer gewaltbereiten Meute zu verbarrikadieren, dauert es doch nicht lang, bis es auch die Männer der Prozession zur Polizei verschlägt, um sich ihr Kreuz zurückzuholen. Ein Zombie-Vergleich griffe hier allerdings zu kurz, denn sie schlicht als hirnlose Masse abzuschreiben, hieße, den Glauben der Männer und deren Sehnen nach einer glücklicheren Zukunft ins Lächerliche zu ziehen. Das Kreuz steht hier sinnbildlich für all die Rechtspopulisten da draußen, die durch einfache Antworten und klare Rollenbilder eine bessere Zukunft versprechen. Während die Männer das Präsidium belagern, muss sich Petrunija einer Reihe von Befragungen durch Vertreter der Kirche und der Polizei unterziehen. Mit jedem weiteren Gespräch erhärtet sich der Verdacht, dass ihr Handeln eine Tür aufgebrochen hat, die sich nicht mehr schließen lassen wird.
Mitrevska beweist sich als sensible Seismikerin einer Gesellschaft, die sich im Umbruch befindet und Veränderungen durchläuft, die nicht mehr reversibel sind. Das Interview, das die Journalistin Slavica mit Petrunijas Eltern führt, steht paradigmatisch dafür, wie ökonomische Armut zu gesellschaftlicher Stagnation führt. Darauf hoffend, das feministische Potenzial zu betonen, das in Petrunijas Ergreifen des Kreuzes liegt, muss sie rasch feststellen, dass Mutter Vaska die mediale Aufmerksamkeit stattdessen dafür nutzt, die prekarisierte Akademikerin Petrunija auf dem Arbeitsmarkt zu bewerben. Ähnlich reagiert ein Passant, den Slavica zum gemeinhin als Diebstahl angesehenenKreuz-Vorfall befragt . Das Land, so der Mann, habe ohnehin genug Probleme, was kümmere ihn da schon ein Kreuz. Man ist geneigt an Brechts geflügelte Worte aus der Dreigroschenoper zu denken: “Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral.”
Gott existiert, ihr Name ist Petrunya führt uns an einen Initiationspunkt, in ein Herz der Dunkelheit, das umhüllt ist von Zukunftsängsten und der Furcht vor der eigenen Identität, dem schleichenden Gefühl, dass das, was war, nicht mehr zurückzuholen ist und der Ungewissheit vor dem, was da noch kommen mag. Wie so häufig in der Geschichte ist es ein Zufall, ein plötzliches Moment, das den Lauf der Dinge, und wenn auch durch ein paar Grad Abweichung, verändert. Es ist vielleicht gerade die Stärke der Protagonistin, dass sie sich nicht sofort der Wirkmächtigkeit ihres Handelns bewusst ist, sondern dass im Gleichklang mit der neuen Situation wächst.
Fazit
Äußerst hellsichtig greift Teona Strugar Mitevska hier den aktuellen Diskurs zu den Abgehängten im postindustriellen Zeitalter auf und beschreibt dabei facettenreich den Mikrokosmos einer nordmazedonischen Kleinstadt zu einem Zeitpunkt, da sich kleine und größere Veränderungen ankündigen, die gleichermaßen Ängste schüren wie Hoffnung erwecken.
Autor: Patrick Fey