Inhalt
Der Notarztwagenfahrer Frank (Robert Mitchum) kann der Tochter eines reichen Schriftstellers nicht widerstehen und tritt in ihre Falle. Als er seinen Fehler bemerkt und sich zurückziehen möchte, zieht sie alle Register, um ihn an sich zu binden.
Kritik
Wenn der Regen draußen in Strömen gießt, die Tropfen wie eiskalte Nadelstiche die Haut treffen und Robert Mitchum seine Zigaretten im Morgenmantel hat, dann laufen alle Fäden zusammen, dann ist unmissverständlich Noirvember. Mitchum, der als eines der führenden Gesichter des Film Noir gilt, tritt hier in einem mitunter vergessenen Werk auf. Engelsgesicht, der zwar von Filmemachern der Nouvelle Vague gefeiert, teils gar innig verehrt wird, gehört nicht zu den Filmen, die man aus dem Stehgreif Otto Preminger (Laura) zuordnen würde. Dabei hat Engelsgesicht eine Entstehungsgeschichte vorzuweisen, die legendären Charakter haben könnte, wäre sie nicht so verachtenswert. Howard Hughes, verrückt und mutig, hatte noch Jean Simmons (Spartacus) für 18 Tage unter Vertrag und wollte „noch einen letzten Film aus ihr herauspressen“ - auch, weil sie ihn verabscheute. Preminger hatte freie Hand - unter der Voraussetzung, dass Simmons eine Perücke trug, um ihre kurzen Haare zu verbergen. Preminger hatte zu freie Hand und ohrfeigte am Set Simmons - woraufhin Mitchum dem Regisseur ebenfalls eine verpasste…
Eine Entstehungsgeschichte, deren ruppige Natur, man dem Film von Beginn an anmerkt. Engelsgesicht fängt so rau und unvermittelt an, wie nur möglich; im Rausch des Notfalls, auf den Straßen der Hills über Los Angeles. Ein Mordversuch oder versuchter Suizid ging schief, offiziell spricht man natürlich von einem Unfall, da seelisches Leiden im Noir zwar Programm ist, aber die Figuren sich nicht die Blöße geben, das wirklich einzugestehen. Mitchums Charakter Frank ist ein Notarztwagenfahrer. Ein Beruf, der nicht typisch für den Film Noir ist, in seiner Gestalt aber perfekt gewählt: Frank sitzt nur Zentimeter von Helden und Lebensrettern entfernt, kann aber nie seinen festgelegten Platz verlassen - auch wenn er Ambitionen hat. Dass diese in ihm stecken, zeigt sich in der ersten Szene und seiner feinen Beobachtungsgabe, durch die er die eine unbequeme Atmosphäre anstößt, die Preminger über den gesamten Film hinweg aufrecht erhalten kann.
Die Geschehnisse sind hier sehr eng gestaffelt, viel passiert schnell, viele Nuancen müssen erkannt, erfühlt und eingeordnet werden. Erst Franks Finger in der Wunde der Mord/Suizid-Situation, dann sein tranceartiger Gang ins Verderben, als er von den märchenhaften Klängen der Tochter Diane (Simmons) angezogen wird. Hier offenbart sich das erste von vielen Märchen-Elementen, die Preminger in seinen Film einfließen lässt - von der bösen Stiefmutter, über das Schneewittchen-Erscheinungsbild von Simmons und der Reise in eine fremde, aber scheinbar verheißungsvolle Welt. Engelsgesicht legt von Beginn an ein großes Tempo an die Nacht. So ist die teils ruppige Natur des Films der kurzen und unvermittelten Drehzeit geschuldet - fügt sich in dieser rastlosen Eile aber der Geschichte wahrlich bravourös an. So entpuppt sich in der aufgezwungenen Hast des Drehs eine Wahrheit, die auf den Film übergreift; die Wahrheit des Zugzwangs, des ständigen Unter-Strom-Stehens, der wackeligen Unsicherheit trotz zwei fester Beine, da der Boden unter den Füßen zu bröckeln beginnt.
Auch beweist Otto Preminger, dass er zu Geistesblitzen neigen kann. So schneidet er die Inhalte des Dialoges auf eine Weise, dass sie in ein humoristisches Pingpong-Match mit den Bildern gesetzt werden (wodurch auch der Einfluss auf beispielsweise Jean-Luc Godards Arbeit Die Außenseiterbande deutlich wird). In einem eleganten Tick-ka-Tock-ka-Tick-ka-Tock, das die düstere Welt des Noirs mal unterläuft, mal intensiviert und dementsprechend das Engelsgesicht, eine glänzende Fläche, in ein brodelndes, moderndes Loch verwandelt. Jean Simmons spielt eine 20-jährige, Einzelkind einer reichen Familie, die gelangweilt und scheinbar soziopathisch Frank um ihren Finger wickelt. Sie lässt ihn für sich herumrennen, zieht ihn gleichzeitig magnetisch an und ist erst zufrieden, sobald sie ihn - stets mit unschuldigem Gesicht - gebrochen hat. Sie wird nicht lernen, dass Bedürfnisse stets größer als externer Zwang sind. Sie wird es ahnen, wenn sie in dem (einmal mehr märchenhaften) Geisterhaus allein ist und ihr eigener Schatten zentrierter positioniert ist, als sie selbst. Ein Schatten, der ihre Identität für ein paar Sekunden übernehmen wird und die innere Leere ihres Selbst schmerzlich deutlich macht.
Fazit
Mit "Engelsgesicht" hat Otto Preminger einen gelungenen Film Noir in äußerst kurzer Zeit abgeliefert. Die Eile des Drehs spiegelt sich in negativen (verkürzte Aspekte der Geschichte, ein lediglich anwesender Robert Mitchum) wie in positiven Aspekten, wobei letztere deutlich überwiegen. Hier ist ein ruppiges Werk entstanden, das radikal mit seinen Figuren, deren Träumen und Ängsten umgeht, das die raue Aura einer kräftigen Kreativität besitzt und nur existiert, weil Jean Simmons als Ware gehandelt wurde - dass sie dabei als willensstarke und selbstständige Frau eine sehr gute Leistung abliefert, ist dabei die süße Ironie des Schicksals.
Autor: Levin Günther