8.5

MB-Kritik

Elaha 2022

Drama

8.5

Derya Durmaz
Derya Dilber
Bayan Layla
Armin Wahedi Yeganeh
Cansu Leyan

Inhalt

Eigentlich steht für die 22-jährige Deutsch-Kurdin Elaha die Zukunft fest: Sie ist mit Nasim verlobt, dem Bruder ihrer Arbeitgeberin in einer Reinigung. Die Hochzeit soll in ein paar Wochen stattfinden. Als Elaha bei einer Party heimlich mit ihren Freundinnen rauchen geht, kommt zur Sprache, was von vielen jungen Frauen ihres Kulturkreises erwartet wird: Sie sollen als Jungfrau in die Ehe gehen. Manche designierte Schwiegereltern verlangen gar einen ärztlichen Nachweis. Doch Elaha hatte schon Sex und steht damit vor einem Problem.

Kritik

Die Motive von Reinlichkeit, soziokultureller Einflüsse auf die Persönlichkeit sowie die Bedeutung vorteilhafter Selbstpräsentation betont Milena Aboyans Spielfilmdebüt frühzeitig im Bewerbungstraining der jungen Titelfigur (Bayan Layla), ihrer Arbeit in einer Reinigung und dem Waschen der Kleidung, in der sie vorehelichen Sex hatte. Doch nicht alle Spuren lassen sich so leicht beseitigen wie der Geruch anderer Partner als Elahas Verlobten Nasim (Armin Wahedi, Nur eine Frau). Seine mit dem Nahen der Hochzeit wachsende Kontrollsucht erhöht den handlungszentralen gemeinschaftlichen Druck.

Dem patriarchalischen Reinheitskonstrukt, dessen Ansprüchen die 22-jährige Deutsch-Kurdin durch den Verlust ihrer „Jungfräulichkeit“ nicht mehr genügt, verunmöglicht neben dessen biologisch abstruser Interpretation des weiblichen Körpers auch die verinnerlichte Schuld der Protagonistin. Ihre im schulischen Umfeld zur Schau gestellte Aufgeklärtheit und Selbstbestimmtheit kollidiert mit ihrer Anbindung an die traditionellen Werte der kurdischen Seite ihres Kulturkreises und der emotionalen Abhängigkeit von ihrer traditionsbewussten Familie und Freundinnen, die nach einem ähnlich widersprüchlichen Wertmaßstab leben und moralisch (ver)urteilen. 

Rekonstruktive Intimchirurgie und Kunstblut-Kapseln, die Elaha als einzigen Ausweg aus ihrem Dilemma sieht, sind nur ein Bruchteil einer „Intim-Industrie“, deren perverse Profitgier auf misogynen Mythen aufbaut und diese bewirbt. Die Wiederherstellung eines Symbols sexueller Unberührtheit verläuft parallel zur Erosion des Selbstwertgefühls und Selbstverständnisses. Eine kalte, gedämpfte Farbpalette verstärkt die bedrückende Atmosphäre, die eng eingegrenzte Innenaufnahmen kreieren. Diesem Käfig archaischer Normen mittels körperlichen (Auf)Begehrens zu trotzen, erweist sich als einfacher als sich seelisch davon zu befreien.

Fazit

Ohne die konfliktiven Gefühle ihrer Protagonistin zu werten, ergründet Milena Aboyan in ihrem eindringlichen Kinodebüt die fatalen Auswirkungen patriarchalischer Phantasmen weiblicher Physis, geschaffen zu deren Reglementierung und Stigmatisierung. Die beklemmende Bildsprache der allegorischen Angstanalyse fungiert als Katalysator des differenzierten Spiels der jungen Hauptdarstellerin. Die persönlichen Bedürfnisse ihrer Figur verlieren sich zwischen den traditionalistischen Geboten ihres kurdischen Kulturkreises und einem westlichen Emanzipationsideal. Dessen eigene, modernisierte Mechanismen konservativer Körperscham und sexistischer Sauberkeitsvorstellungen bleibt im Dunkel der desillusionierten Szenarien.

Autor: Lida Bach
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