Inhalt
Ein kleines spanisches Küstenstädtchen im Sommer: Aus dem Reisebus steigen Tom und seine hochschwangere Frau Evelyn, die vor der Geburt ihres Kindes noch ein paar ruhige Tage am Meer verbringen wollen. Ziel ihrer Reise ist ein kleines Fischerdorf auf der abgelegenen Insel Almanzora – vier Stunden entfernt vom geschäftigen Trubel des Festlands. Als beide im kleinen Hafen anlegen, werden sie von einer Gruppe spielender Kinder empfangen. Alles scheint friedlich. Doch als sie durch die Gassen des kleinen Dörfchens schlendern, kommt ihnen alles seltsam ruhig und verlassen vor. Kein Erwachsener ist zu sehen. Offenbar sind alle auf einem Fest am anderen Ende der Insel. Aber dann wird Tom Zeuge eines unfassbaren Vorfalls. Irgendetwas stimmt nicht mit den Kindern.
Kritik
Der Moviebreak Horroctober: 18.10.2015 (Klassiker)
Tag 18 des Horroctobers und damit wieder Zeit, einem Klassiker des Genres zu huldigen, den vielleicht nicht jeder sofort auf dem Zettel haben dürfte. Ein Grund mehr für die folgende Lobeshymne.
„Man kann doch keine Kinder töten!“
„Ein Kind zu töten“ ereilte in Deutschland seinerzeit ein vergleichbares Schicksal wie „Hügel der blutigen Augen“ von Wes Craven („Das letzte Haus links“), was nicht ansatzweise so fatal ist wie eine Indizierung oder Kürzungen, allein die sind schlimm genug. Einst unter dem absurden Titel „Tödliche Befehle aus dem All“ veröffentlicht, wurden der gesamte Sinn und die Wirkung des Films durch radikale, manipulative Eingriffe grundliegend verändert. Bei Craven war es eine haarsträubende Synchronisation, hier Texttafeln, die den (für den Gesamtkontext alles andere als unwichtigen) Originalvorspann ersetzten und die Handlung eigenwillig ins Jahr 2000 verlegten (was bei der Betrachtung allein schon total unsinnig ist), dem Film absichtlich sein provokantes, enorm kontroverses Potenzial nahmen und gegen allgemein verträglicheren Science-Fiction-Mumpitz austauschten. Was für einen Schaden das verursachen kann, sah man hier wie bei „Hügel der blutigen Augen“, die in ihrer ursprünglichen deutschen Fassung eigentlich schon in die Trashecke gedrängt werden, wo sich nicht das Geringste zu suchen haben.
Diese feige, kunstverachtende Methodik darf und soll keinesfalls gutgeheißen werden, sie ist vielleicht nur insoweit „verständlich“, da „Ein Kind zu töten“ bis heute zu den verstörensten und perfidesten Genrefilmen gehört, die einem selbst bei mehrfacher, auf das Folgende vorbereiteter Sichtung einen eiskalten Schauer über den Rücken jagen. Selten traute man sich sowas in derartiger Konsequenz, was nicht unbedingt mit expliziter Gewaltdarstellung zu tun hat, viel mehr mit einem Tabubruch und dem endgültigen Verzicht auf eine „befriedigende“ oder „beruhigende“ Erklärung, wie sie damals dem deutschen Publikum versucht wurde unterzujubeln. Nach dem lange verbannten Vorspann, in dem minutenlang anhand echtem Bildmaterial und dem Darlegen von Fakten das weltweite Leid unschuldiger Kinder durch den Wahnsinn von Kriegen und Machtspielen der Erwachsenen dokumentiert wird, lässt Regisseur und Co-Autor Narciso Ibáñez Serrador („The House That Screamed“) lange eine trügerische Ruhe walten, die nur in klitzekleinen Nadelstichen das spätere Albtraumszenario ankündigt. ¾ der Laufzeit spielt „Ein Kind zu töten“ unter der strahlenden Sonne spanischer Postkartenidylle, die spätestens (aber auch dann nur schrittweise) ihren Frieden gegen eine subversive Bedrohung eintauscht, wenn ein unbescholtenes Touristenpärchen eine kleine Insel erreicht, die bis auf einige fröhliche, spielende Kinder menschenleer erscheint. Noch kein echter Grund zur Beunruhigung, aber die verwaisten Gassen und das befremdliche, obwohl an sich ganz natürliche Auftreten der Kinder erzeugen schnell ein kaum greifbares, dennoch stetig wachsendes Gefühl der Angst, das Serrador kontrolliert und geduldig entwickelt, das man davor nur mit tiefstem Respekt den Hut ziehen kann.
Wie schnell und mit wenig Vertrauen in ein interessiertes Publikum würden viele Regisseure lieber jetzt als bald mit der Tür ins Haus fallen, gerade durch die behutsame, subtile Annährung an das Unvorstellbare schockiert „Ein Kind zu töten“ noch mehr als unbedarft aus der Hüfte loszuballern. Selbst als das Grauen seinen drastischen Höhepunkt erreicht – sich die Sinnbilder für Reinheit und Unschuld wie einst in Hitchcock’s „Die Vögel“ sammeln, lauern und tatsächlich mir skrupelloser Brutalität zuschlagen -, bricht der Film nie aus seinem grandiosen Muster heraus und erliegt dem Reiz, den Peinigern ein anderes Gesicht zu geben, was ihnen in ihrer Präsenz wie dem moralischen Aspekt des Endes viel nehmen würde. Sie sind und bleiben Kinder. Sie spielen, sie lächeln, sie strahlen dich an…und doch bringen sie den Tod. Ein bizarrer Kontrast, der selbst in der Stunde des Überlebenskampfes die Entscheidung nicht einfach macht. Kann man Kinder töten, egal, wie sie handeln? Darf man das, ist es ethisch vertretbar? Und schockiert es den Zuschauer weniger, wenn man sich ihrer Taten bewusst ist und dennoch sieht, was mit ihnen geschieht? Serrador spielt einzigartig mit den Befindlichkeiten des Publikums und hinterlässt einen mit einem beinharten, kompromisslosen Finale, das seines Gleichen sucht. An diesem Punkt schließt sich der Kreis zu dem früher ignorierten Vorspann. Nur die Perspektive hat sich gewandelt. Kinder waren immer die Opfer in Konflikten, die sie nicht verstehen konnten. Der Spieß wurde umgedreht und wir als Erwachsene verstehen nicht, was da gerade geschieht und sind noch unfähiger uns dagegen zu wehren…denn wer würde schon ein Kind töten?
Fazit
Was für ein Monstrum des Genres, das nie plakativer Mechanismen erliegt sondern seine brutale Essenz mit Inbrunst auf den Punkt manifestiert. Man kann es kaum beschreiben, wenn man es nicht selbst sehen, erleben oder eher erleiden musste. Ohne Wenn und Aber ein herausragender, ein unglaublich mutiger und immer noch knallhart zerstörender Film, ein schonungsloser Schocker, eine Wucht.
Autor: Jacko Kunze