Ein blutrot gleißender Himmel empfängt uns. Ein Himmel, der uns in seiner dominant-unnatürlichen Kolorierung auf direktem Wege darüber in Kenntnis setzt, dass wir uns in einer Zeit befinden, in der Blut vergossen wird. Viel Blut. Nachdem Konstantinopel gefallen ist und die Osmanen unter dem Banner des Islam unaufhaltsam gegen das Christentum in Europa in den Krieg gezogen sind, kommt Bram Stoker's Dracula durch diese geschichtliche Kontextualisierung seinem Versprechen aus der ersten Einstellung nach. Prinz Dracul (Gary Oldman, Die dunkelste Stunde) muss sich als Ritter vom heiligen Orden des Drachen der übermächtigen Streitmacht stellen und seinem authentischen Vorbild, ein slawischer Fürst des 15. Jahrhundert namens Vlad Tepes, gerecht werden: Tepes nämlich erlangte historische Bekanntheit durch seinen martialischen Widerstand gegen das osmanische Reich auf dem Balkan. Besonders berüchtigt gestalte sich dabei seine Vorliebe, seine Gegner zu pfählen.
Bram Stoker's Dracula baut auf diesen hergbrachten Bezugsrahmen und schickt Prinz Dracula auf einen gnadenlos Kreuzzug. Obgleich die Schlacht gewonnen wird, verliert Dracul seine Geliebte (Winona Ryder, Edward mit den Scherenhänden) – und schwört wutentbrannt Gott ab, um sich mit dunklen Mächten zu verbünden. Aus dem gottesfürchtigen Prinzen wird der untote Graf Dracula, die wohl berühmteste Nachtgestalt der Literatur- und Filmgeschichte. Wie der Titel bereits angibt, ist es Regisseur Francis Ford Coppola (Der Pate-Trilogie) daran gelegen, sich zurück zu den Wurzeln der folklorischen Vampir-Mythologie zu bewegen und sich auf den renommierten, längst zum Kulturgut avancierten Roman des irischen Schriftstellers Bram Stoker zu rekurrieren. Die maßgebliche Vorlage für unzählige weitere Verfilmungen, Graphic Novels, Theaterstücke, Hörspiele und Urheber von Alpträumen, die bis heute nichts von ihrer Gültigkeit verloren hat. Vampire bleiben ein schauerliches Faszinosum.
Francis Ford Coppola hält sich weitestgehend akkurat an die Erzählstruktur des in 45 Sprachen übersetzten Romans und forcier als antreibenden Kristallisationspunkt der Handlung das feurige Verlangen zwischen Graf Dracula und Mina (Ryder), der Verlobten des Anwalts Jonathan Harker (Keanu Reeves, Matrix), der in die Karpaten aufbricht, um eine Immobilientransaktion zum Abschluss zu bringen. Wie sich die Geschichte weiterentwickelt, sollte weitreichend bekannt sein. Liebe, Angst, Verdammnis, der Kampf mit der eigenen Unsterblichkeit und Erlösung bilden von nun an das elementare Topoi der Narration. Bram Stoker's Dracula setzt dabei vor allem auf große Gesten und lässt Gary Oldman in der prestigeträchtigen Hauptrolle des obersten aller Blutsauger oftmals bis über die Fremdschamgrenze hinaus chargieren. Oldman will mit seiner grellen Performance vor allem akzentuieren, dass sein Charakter zwar tot, aber nicht leblos ist.
In jedem Fall gelingt es dem gebürtigen Londoner eine Darbietung abzurufen, die durchaus Blicke auf sich zieht und somit für Mel Brooks mit Dracula – Tot aber glücklich eine dankbare Aufgabe für eine quirlige Parodie darstellte. Etwas, was man vom restlichen Cast nicht unbedingt behaupten kann. Winona Ryder, Keanu Reeves und auch Anthony Hopkins (Das Schweigen der Lämmer) als Abraham van Helsing bleiben verhältnismäßig blass, was auch der dürftigen Ausarbeitung der Figuren geschuldet ist – dem größten Manko des ansonsten ansehnlichen Films. Sicherlich ist Bram Stoker's Dracula nicht als tiefgehende Charakter-Studie angelegt, allerdings gelingt es Francis Ford Coppola nicht, den Protagonisten eine ansprechende, mitreißende Dynamik zu verleihen. An dem Umstand, dass sich einige Akteure immer mal wieder unbemerkt aus dem Gedächtnis der Zuschauer davonstehlen können, wird die Eindimensionalität selbiger deutlich gemacht.
Die fehlende Grundierung des Ensembles sorgt bisweilen folgerichtig auch dafür, dass Bram Stoker's Dracula in seiner Erzählung immer ein Stück weit zerfahren wirkt. Bruchstückhaft, nicht torsogleich, aber in seiner Aneinanderreihung von Motiven zeitweise unausgereift. Die wahren Kompetenzen liegen ohne Zweifel in der von blühender Pracht beseelten Formalästhetik begraben. Was Francis Ford Coppola hier für verführerische, wirkungsmächtige, oftmals mit assoziativen Symbolen ausstaffierte Bildwelten heraufbeschwört, muss man schlichtweg gesehen und erfahren haben. Die Kamera des ohnehin genialen Michael Ballhaus jedenfalls sorgt dafür, dass die prägnante Visualität des Films aus der Leinwand geradewegs in die Sitzreihen hineingreift. Über seine plastischen Fotografien, seinen Sound, seine musikalische Untermalung gelingt es Bram Stoker's Dracula, den überdimensionierten Emotionen den opulenten Rahmen des prunkvollen Ausstattungskinos zu verleihen, der genau dann zur Geltung kommt, wenn man sich selbst eine Affinität zu Schwulst, Pomp und Prunk nachsagen kann.
Verlässt sich Bram Stoker's Dracula ganz und gar auf sein stilsicheres Äußeres, dann wird gleichwohl ersichtlich, wie sehr Francis Ford Coppola hier den Grundzügen des Mediums an und für sich huldigt. Es kommt nicht von ungefähr, dass sich Graf Dracula und Mina bei ihrem ersten Treffen geradewegs zum Cinematographen begeben, um Zeuge der Wunder der Wissenschaft zu werden. Coppola zollt dem traditionellen Kintopp Tribut und inszeniert Bram Stoker's Dracula mit weitreichenden Zitaten aus den urwüchsigen Grundzügen der Filmgeschichte. Nicht zuletzt verlieht ihm dieser Bezug zum Klassischen eine traumwandlerische Atmosphäre, die sowohl die Wildnis von Rumänien zum Zauberwald erklärt und gleichwohl das geschäftige London im 19. Jahrhundert zu einem Hort der aufschäumenden Gewalt und Leidenschaft verwandelt. Hier treibt einen die Sehnsucht nach wahrer Liebe noch dazu, Ozeane der Zeit zu überqueren und die Täler bedrückender Finsternis zu durchwandern. Ja, Bram Stoker's Dracula ist nicht nur eine opernhafte Hommage an das Kino, sondern auch an Kraft die Liebe.