6.5

MB-Kritik

Und erlöse uns nicht von dem Bösen 1971

Horror, Drama – France

6.5

Jeanne Goupil
Catherine Wagener
Bernard Dhéran
Gérard Darrieu
Marc Dudicourt
Michel Robin
Véronique Silver
Jean-Pierre Helbert
Nicole Mérouze
Henri Poirier
Serge Frédéric
René Berthier
Frédéric Nort
Jean-Daniel Ehrmann
Dominique Ney
Nicole Gueden

Inhalt

Die Klosterschülerinnen Lore (Catherine Wagener) und Anne (Jeanne Goupil) sind beste Freundinnen und verbringen gemeinsam die Sommerferien. Doch Unternehmungen wie Radfahren sind nur auf den ersten Blick die Hauptbeschäftigung der beiden jungen Mädchen. Lore und Anne haben sich dem Teufel verschrieben und setzen nun alles daran, ihr Leben mit möglichst vielen schlechten Taten zu füllen...

Kritik

Das hat er doch ganz geschickt gemacht, derJoel Séria, um seinen feierlichen Einstand als Auteur in der großen, weiten Filmlandschaft zu feiern: Er hat ganz einfach Regeln gebrochen. Schließlich ist genau das der beste Weg, um als aufstrebender Niemand die Aufmerksamkeit der breiten Masse ein Stück weit auf sich zu lenken. Sein Debütwerk „Und erlöse uns nicht von dem Bösen“ aus dem Jahre 1971 ist sich natürlich vollkommen im Klaren darüber, dass er (auch noch in heutigen Zeiten als solche zu verifizierende) Tabubrüche anstrebt, ohne aber – und hier sehen wir schon das Maß an Ambiguität, welches „Und erlöse uns nicht von dem Bösen“ schmückt - jene Sachverhalte enttabuisieren zu wollen. Im Zentrum der zerstreuten Handlung stehen zwei pubertierende Mädchen, Freundinnen, Schwestern im satanistische Geiste: Anne (Jeanne Gouplin) und Lore (Catherine Wagener). Ihr Dasein in einem religiösen Mädcheninternat scheint für sie ein Leben in Samtketten zu bedeuten; schlecht behandelt werden sie keinesfalls.

Von einer Aura der Repression ist die klerikale Institution dennoch umflort. Genau wie ihr familiärer Umgang keine Anzeichen von Misshandlung (im psychischen oder physischen) Sinne aufbringt, haben sie es satt, in gesellschaftlicher Konformität zu verweilen und brechen aus den konventionellen Strukturen aus. Interessant an „Und erlöse uns nicht von dem Böse“ ist sein motivisches Fundament: Da mäandert die Faszination des Böse metaphysisch wie der verführerische Lockruf einer Sirene durch die Szenerie, wird aber alsbald mit derart mehrwertigem Subtext konnotiert, dass man Joel Séria nicht nur dafür danken will, dass er den Zuschauer durch seine Bilder herausfordert, sondern auch simultan dazu animiert, unter die kontroverse Oberfläche zu blicken und das verruchte Puzzle zu einem individuellen Ganzen zu formen. Dabei gelingt es Joel Séria gleichermaßen, die Sympathie- und Antipathieachsen kontinuierlich kreisen zu lassen.

Narrativ erschließt sich „Und erlöse uns nicht von dem Bösen“ keinesfalls, er besitzt zwar feste Ankerpunkte, verlegt diese aber so frei und ungezwungen in seine szenische Konstruktion, dass sich der Film erst auf der interpretativen Ebene dechiffrieren lässt. Und da liegt es natürlich wieder einmal an jedem Zuschauer selbst, wie er das Gezeigte reflektiert, verarbeitet und klassifiziert. Das französische Idyll in der Provinz mit seinen romantischen Sonnenuntergängen und den sich bis zum Horizont erstreckenden Weiden jedenfalls operiert als konterkarierende und kontrastierende Projektionsfläche: Der pittoresk-sommerliche Schein trügt nicht nur, er rückt auch das augenscheinlich Unschuldige mit dem Unkeuschen von Angesicht zu Angesicht in Position – Ohne es allerdings gegeneinander ausspielen zu lassen, beides atmet fortwährend in einer Art fragilen Koexistenz. Der sittliche Mikrokosmos wird wie ein schmales Gefäß mit Trauer, Schmerz und Qual gefüllt, das destruktive Mädchengespann spielt mit ihren fleischlichen Reizen, um ihr männliches Umfeld zu verletzten und zu demütigen, um mit der Abkehr von Gott hausieren zu gehen und sich im Schoß von Satan einen infamen Platz zu sichern. 

Fazit

Vielleicht ist „Und erlöse uns nicht von dem Bösen“ kein Meisterwerk, aber jeder Filmfreund, der eine Affinität für das abseitiges Kino hegt, sollte einen Blick riskieren. Joel Séria inszeniert einen Film, der sich an Kontroversen labt, dabei aber keinen Wert darauf legt, sich an psychologischen Mustern zu bedienen und eine salopp hergeleitete Ätiologie anzufertigen. Stattdessen verweilt „Und erlöse uns nicht von dem Bösen“ auf interpretativen Ebenen und ist somit für jeden Zuschauer individuell wahrnehmbar.

Autor: Pascal Reis
Diese Seite verwendet Cookies. Akzeptieren.