Inhalt
Lord Allan Cunningham hat den Tod seiner Frau Evelyn nicht verkraftet. Nach einem Aufenthalt in der Psychiatrie scheint er wieder voll im Leben zu stehen, stattdessen foltert und tötet er Frauen, die Evelyn ähnlich sehen in seinem Schloss. Als er auf Gladys trifft und diese spontan heiratet hofft er sich endgültig von Evelyn lösen zu können. Doch nun sieht er sie überall und Menschen in seiner direkten Umgebung sterben, auch ohne sein Zutun. Hat er endgültig den Verstand verloren, treibt jemand ein böses Spiel mit ihm oder ist Evelyn tatsächlich aus ihrem Grab auferstanden?
Kritik
Klassisch ist es beim Giallo ja eher so, dass sich eine unschuldige und meistens (scheinbar) zufällig in ein Szenario verirrte Person in einer Whodunnit-Geschichte wiederfindet, konfrontiert mit einem unbekannten Killer, der sich am Ende (überraschend?) als jemand bereits Bekanntes enttarnt, oft mit einem völlig absurden Motiv im Gepäck – eine Kombination aus frühkindlichem Trauma und latentem Wahnsinn wird gerne gebucht. Ist nicht zwingend so, aber oft genug, mit leichten Abweichungen hier oder da. Emilio P. Miraglia (Die rote Dame) beginnt seinen mit dem extrem reißerischen und kaum bis überhaupt nicht auf den Inhalt zutreffenden deutschen Titel Die Grotte der vergessenen Leichen versehenen Subgenre-Beitrag mit einer markanten Variation davon und hält sogar recht lange den Kurs abseits der Spur, bevor er in der zweiten Hälfte mit einer Art Zusammenführung beginnt.
Hauptfigur Allan Cunningham (Anthony Steffen, Garringo – Der Henker) – ein millionenschwerer, britischer Lord in seinen späten Dreißigern oder frühen Vierzigern, bereits verwitwet und gerüchtehalber auch nicht ganz unschuldig daran – hat an dem Tod seiner Evelyn noch heftig zu knabbern. Als Trauerkompensation greift er sich leicht zu bekommende Damen, in der Regel scheinbar Prostituierte ab, die seiner Dahingeschiedenen möglichst ähnlich sehen. Das rote Haar ist definitiv Pflicht. Im Keller seines protzigen, aber leicht heruntergekommenen Schlosses ist dann Schluss mit der netten Freier-Tour. Auspeitschen, nackt aufbocken und mit dem persönlichen Brandzeichen versehen gehört zum Standardritual, wenn Allan in seinen Wahn verfällt und immer wieder daran erinnert wird, wie Evelyn ihn einst nackend durch den Garten tollend mit einem anderen Kerl betrog. Zur Strafe wird ihr unfreiwilliges Double schließlich abgemurkst und entsorgt. Der einzige, konstant-lästige Ohrenzeuge Albert – ausgerechnet der Bruder von Evelyn, der immer noch des Nachts um die Hütte schleicht – wird mit einigen Scheinchen zum Schweigen gebracht.
Also von wegen „unschuldig“ oder gar „Held“: Unser Protagonist ist ein irrer, perverser und unglaublich sadistischer Folterknecht und Frauenmörder, na das kann ja was werden. Aber er will es ja gar nicht, möchte sein gruseliges „Hobby“ wie die Erinnerungen an Evelyn hinter sich lassen. Was tun? Sich mal gepflegt gesundstoßen meint sein chauvinistischer Lebemann-Cousin George (Enzo Tarascio a.k.a. Rod Murdock, Vier Fäuste für ein Halleluja), lieber gleich irgendwas heiraten dagegen sein Vertrauter, Leib- und Oberstübchenarzt Timberlane (Giacomo Rossi-Stuart, Die toten Augen des Dr. Dracula), beides prima Vorschläge…besonders vom Psychiater seines Vertrauens, da hat sich das Studium offenbar bezahlt gemacht. Letztlich entscheidet sich Lord Peitschen-Ferkel für Option B, als er Gladys (Marina Malfatti, Die Farben der Nacht) kennenlernt und vom Fleck weg ehelicht. Ende gut, alles gut, denn offensichtlich war die sonderbare Empfehlung von Doc Sorglos doch gar nicht so schlecht.
Allan verschleppt keinen rothaarigen Dirnen mehr in seinen Keller, wird im Gegenzug dafür von dem Geist (?) der verstorbenen Evelyn heimgesucht, dem auch die ein oder andere Nebenfigur aus dem Schloss zum Opfer fällt. Nebenbei, alles äußerst zwielichtige Gestalten und potenzielle Verschwörer, falls es doch nicht ganz so übersinnlich zugehen sollte. Erstaunlich geduldig im Aufbau des Plots wird der Täter gar zum Opfer, wenn nicht von jemanden anderen wenigstens seines eigenen Geisteszustandes. Eine ganz interessante Idee, die sowohl bei Mario Bava und seinem ein Jahr vorher erschienenen Hatchet for the Honeymoon wie auch wesentlich später bei dem oft unterschätzen Psycho II bereits verwendet bzw. erneut aufgegriffen wurde. Mag der Film lange etwas behäbig wirken, ist das Verwirrspiel um gut, böse oder noch böser reizvoll und generiert besonders im letzten Drittel durchaus Spannung in einem generell recht ordentlich umgesetzten Giallo während der absoluten Genre-Blütephase. Nackte Haut gibt es reichlich, Gore nur sehr selten, dafür ein ultra-übertwistetes, dadurch im Detail verdammt unlogisches, aber eben auch in Einzelheiten überraschendes wie recht zynisches Finale, bei dem man sich am Ende zurecht fragen darf: Ab wann ist ein Happy End aufgrund der Abwesenheit von wirklich „guten“ Menschen überhaupt noch als solches zu bezeichnen?
Fazit
Zum Teil etwas zu langatmig und letztlich völlig überfrachtet in seinem Pointen-Gewitter bekommt man mit „Die Grotte der vergessenen Leichen“ trotzdem einen absolute brauchbaren Genre-Vertreter vorgesetzt, der sich inszenatorisch auf gehobenem B-Movie-Niveau seiner Zeit bewegt und mit seiner nicht ganz konventionelle Ausrichtung definitiv von der Masse abhebt. Ein Hauch Hitchcock ist da auch drin, lässt sich kaum verleugnen.
Autor: Jacko Kunze