Inhalt
Arkham, 1975: Jonathan Davis Vater ist verschwunden. Seine Spur führt nach Deutschland, in den Schwäbisch-Fränkischen Wald, wo er nach dem 2. Weltkrieg stationiert war. Jonathan folgt ihm um ihn heimzubringen, doch tief in den Wäldern offenbaren sich ihm die Geheimnisse aus der Vergangenheit.
Kritik
Eine weitere, über die Jahre lose verstreuten Interpretation der 1927 veröffentlichten Kurzgeschichte The Colour Out of Space von H.P. Lovecraft – aber was für eine! Tatsächlich sogar die werkgetreueste Umsetzung, die dennoch so viel Eigenes besitzt, das allein dieser Fakt schon bemerkenswert wäre. Noch dazu handelt es sich um eine deutsche Independent-Produktion, bei der Regisseur und Autor Huan Vu (in Stuttgart geborener Sohn vietnamesischer Gastarbeiter) ein außergewöhnliches Talent beweist, das leider bis heute nicht zu einem festen Stand in der eben deswegen oft kleingeistigen und Genre-feindlichen deutschen Filmlandschaft geführt hat. Die vor knapp 100 Jahren Pionierarbeit für den Horrorfilm leistete und heute nichts mehr von ihm wissen will. Sich nur noch von diesen Selfmade-Indy-Produktionen speist, unter denen manches echte Juwelen sind. Insbesondere dieser hier.
Keine der zahlreichen Versionen von Lovecraft’s Geschichte nutzte beispielsweise dessen narratives Konzept. Dort wurde einem von den unwirtlichen Verhältnissen irritierten Angereisten von einem Zeitzeugen über schauderhafte, etwa 40 Jahre zurückliegende Ereignisse berichtet, die im Grunde 90% des Plots ausmachten. So verfährt auch Die Farbe, transferiert das Geschehen jedoch zeitlich wie auch geographisch äußerst geschickt in einen anderen Kontext. Der US-Amerikaner Jonathan (Ingo Heise) sucht seinen Vater. Dieser war am Ende des Zweiten Weltkriegs als Arzt in Deutschland stationiert und genau dahin hat es den alten Mann völlig unvorbereitet irgendwann zwischen den späten 70er und frühen 80ern wieder hin verschlagen. In der tiefsten Provinz des schwäbisch-fränkischen Waldgebiets trifft Jonathan auf Armin Pierske (Michael Kausch, Martha und ich), der damals seinem Vater begegnete. Und ihm mit dem unvorstellbaren Grauen konfrontierte, das sich kurz vor Ausbruch des Krieges auf dem Nachbarshof abgespielt hatte.
Unübersehbar eine klitzekleine Independent-Produktion macht Die Farbe aus seiner Not eben eine Tugend. Durch den simplen wie genialen Kniff alles in Schwarz-Weiß zu präsentieren wirkt nicht nur das titelgebende und eigentlich total einfache Farbenspiel am Ende ungemein effektiv, es kommt dem gesamten Dasein wie der Wirkung ungemein entgegen. Alles wirkt noch unwirklicher, befremdlicher und bedrohlicher. Völlig zeitlos, wie auch Lovecraft’s Erzählung immer wieder in ganz unterschiedliche, zeitliche Rahmen gepresst wurde. Dieses Setting ist besonders faszinierend, da sich der heimlich ausbreitende Wahnsinn vielleicht sogar als Vorbote für das Aufkommen des NS-Regimes interpretieren ließe. Das ist rein spekulativ, aber den brutalen Niedergang einer ländlichen Idylle kurz vor Ausbruch einer subversiven, totbringenden Seuche aus dem Schoß einer höheren Macht anzusiedeln ist zu verlockend, als es nicht zumindest insgeheim im Raum stehen zu lassen.
Was Die Farbe deutlich über vorangegangene Adaptionen abhebt, ist seine Nähe zur Lovecraft’schen Intention. Die auf verstörende und unheilvolle Weise eine stille Apokalypse auf engstem Raum skizziert. Dargeboten als langsam, aber kontinuierlich am lebenden Leib verwesende Familientragödie. Trotz schmaler Mittel stilistisch selbstbewusst und von erstaunlicher, atmosphärischer wie erzählerischer Souveränität gekennzeichnet. Das ist bizarr, beunruhigend, spannend und mit einer fatalistischen Konsequenz bedacht, die ganz im Sinne des ursprünglichen Autors gewesen sein dürfte. Und ganz nebenbei nun mal mit das Beste, was im letzten Jahrzehnt des deutschen Genre-Kino zu finden war. Warum eigentlich?
Fazit
Saustarkes Independent Kino mit hohen Ambitionen, aber auch entsprechendem Gegenwert. Sichtlich eng an der literarischen Vorlage orientiert findet Huan Vu einen cleveren und effizienten Mittelweg um dem Ganzen trotzdem eine sehr eigene, individuelle Note zu verleihen und stellt gleichzeitig sein unübersehbares Talent in den Fokus. Bitte mehr von solchen mutigen Versuchen. Warum wird so was eigentlich nicht umfangreich gefördert? Wir kennen die Antwort, aber trotzdem und genau deswegen sei nochmal die Frage gestellt.
Autor: Jacko Kunze