7.4

MB-Kritik

Hager 2019

Mystery, Horror, Drama

7.4

Nura Habib Omer
Aline Adam
Philipp Droste
Frederik von Lüttichau
Jürgen F. Schmid
Jenny Christina Conrads
Anna Heidegger
David Garzón Bardua
Cris Kotzen
Clara Westhoff
H.K. DeWitt
Iman Rezai
Jonas Hofrichter
Melanie Pechstein
Philip Grüneisen

Inhalt

Kommissar Till Hager wird ein brisanter wie auch persönlich sehr komplizierter Fall zugewiesen: Als Teil einer Zwei-Mann-Einheit soll er die Spur einer neuen Teufelsdroge namens ABD zurückverfolgen. Einer Aufgabe, während der sein Kollege und eigener Schwager Schweitzer spurlos verschwunden ist. Hager taucht ab in die Vorhöfe der Hölle, an denen er vorher schon genascht hatte: Aber nun verfällt er ihnen mit Haut, Haar und Seele.

Kritik

Die neueste Droge aus osteuropäischen Badewannen-Chemie-Laboratorien scheint die deutschen Straßen zu fluten, die Folgen sind bisher noch so unerforscht wie die Quelle des Bösen. ABD schimpft sich das aktuelle Teufelszeug, das Verstand, Bewusstsein und Wahrnehmung auf unkontrollierbare, schubhafte Weise immer wieder radikal fickt, so dass jeder als „Gelegenheitskonsument“ bagatellisierte User gar nicht mehr schnallt, welcher verschobenen Realität er wann noch aktiv beiwohnen darf. Schlimm genug, noch schlimmer für den Einzelnen, wenn er persönlichen, nie analysierten Ballast mit sich herum schleppt. Das ist extrem ungünstig bei einer Reise in die Tiefen des Unterbewusstseins. Bei jeder bewusstseinserweiternden Substanz und erst Recht bei etwas, was das individuelle Fegefeuer sehr gezielt hervor kramt und keine Trennung mehr zwischen Realität und Wahn zulässt. Verpackt in eine Kriminalgeschichte, die eigentlich von Anfang an gar keine Rolle spielt. Denn alles außerhalb des Rauschzustandes ist noch schwerer zu verkraften; wurde nicht umsonst in den betäubten Keller gesperrt. Die Jagd nach dem Zauberdrachen, sie hat schon viel früher begonnen, ABD ist nur der Schlüssel zur innerlichen Verdammnis.

Der gebürtige Osterreicher und nun in Berlin ansässige Kevin Kopacka schließt mit Hager sein bisheriges Schaffen – bestehend aus den Kurzfilmen Hades und Tlmea - in spielfilmlänge ab und es gelingt ihm in dem gebotenen Rahmen beeindruckend. No-Budget ist offensichtlich, aber wo andere deutsche Independent-Regisseure mit ranzigem Splatter-Schrott sich ihre Sporen verdienen wollen, gräbt Kopacka tief und tiefer. Hager sieht immer günstig, aber nie verloren aus und erzeugt einen faszinierenden Sog, so dass budgetbedingte Kleinigkeiten irgendwann mehr zur Stärke als Schwäche werden. Unter den Voraussetzungen so was auf die Beine zu stellen, Hut ab. Ein delirierender Fiebertraum, der von Beginn an alles Gezeigte konsequent in Frage stellt. Niemanden kann man trauen, erst recht nicht den eigenen Augen, dem Verstand und ganz besonders nicht der Wahrnehmung. Bruchstückhaft gibt der Plot immer mehr über seine Figuren preis, ohne sich dabei jemals wirklich konkret festzulegen, welche „Wahrheit“ wir hier aufgetischt bekommen oder das Puzzle zu einem eindeutigen Ganzen zusammen zu fügen.

Verschachtelt in Fragmenten und assoziativen Anspielungen bleibt am Ende kaum mehr als ein interpretatives Zerrbild übrig, da einiges andeutet, aber nicht davon als definitiv hinstellt. Hager ist im wahrsten Sinne des Wortes ein auswegloser Höllenritt, dem es weniger um Schocks, klassisches Spannungskino und ganz und gar nicht um einfache ausformulierte Erklärungen geht. Es ist Kino von Impressionen, von Stimmungen, von Unbehagen aus der puren Rätselhaftigkeit heraus und ganz besonders ist es Kino, das sich völlig frei entfalten kann, auch wenn sicherlich nicht alles umzusetzen ist und sich in vielerlei Hinsicht auch noch ausprobiert wird. Dahingehend ist Hager auch noch als Reifeprozess zu verstehen. Als ein hoffnungsvoller, erster Schritt in die richtige Richtung, in die hoffentlich vielleicht doch rosige Zukunft des deutschen Genre-Films. Wie schon zuletzt Tilman Singer mit Luz zeigt auch Kevin Kopacka sehr viel Talent, inszenatorisches Geschick und vor allem Mut, konsequent sein Ding durchzuziehen, obwohl man es mit derlei Experimenten hierzulande noch wesentlich schwerer hat als anderorts. Daumen drücken, dass so was wenigstens die Chance bekommt, den nächsten, womöglich großen Schritt machen zu dürfen.

Fazit

Schon bemerkenswert, was im deutschen Independent-Kino zurzeit vor sich geht. „Hager“ ist klitzeklein und doch so engagiert, begabt und in vielerlei Hinsicht schon so kompetent, da können sich einige etablierte Einheitsbrei-Söldner eine dicke Scheibe von abschneiden. Natürlich ist das noch kein in allen Belangen großartiger Film, mehr wie eine selbstkreierte Visitenkarte. Ein Bewerbungsschreiben und die Bitte darum, doch auch mal die Chance für mehr zu erhalten. Im Idealfall in der eigenen Komfortzone arbeiten zu können, nur mit der entsprechenden Förderung. In der aktuellen Situation fast schon utopisches Wunschdenken, aber Filme wie „Hager“ sollten dazu anregen, sich über das verkrustete bzw. oftmals gar nicht mehr dem eigentlichen Sinn der Sache dienlichen, deutschen Filmförderungsprogramm mal wirklich intensive Gedanken zu machen.

Autor: Jacko Kunze
Diese Seite verwendet Cookies. Akzeptieren.