Nur einen Moment dauert Jean Cocteaus (Orpheé) surreales Abbild des Dichterlebens, das er zur zeitlichen Markierung zwischen zwei Augenblicken derselben Szenerie, eines zusammenbrechenden Fabrikschornsteins, presst. Das Bildnis einer niedergehenden Arbeitsmachinerie steht sinnbildlich für das, was uns Cocteau in den restlichen 55 Minuten präsentiert: eine Existenzweise, die von Arbeit jenseits des Produktivitätsdenken, vom Niedergang vor den Rängen der bürgerlichen Gesellschaft, vom ständigen Umherirren in Alltags- und Traumsequenzen geprägt ist. Ob nun als paranoide Wahnvorstellung, als Momentaufnahme oder Essenzbild sei dahingestellt – er offenbart ein Selbstverständnis. So sah sich Cocteau trotz vielfältiger Begabungen vorrangig als Dichter und übertrug die Merkmale dieser Kunstform in seine Beschäftigung mit anderen Medien, wie zum Beispiel dem Film.
In seinem ersten öffentlich vorgeführten Spielfilm Das Blut eines Dichters, der den ersten Part seiner Orpheus-Trilogie darstellt und ursprünglich als Zeichentrickfilm geplant wurde, rückt er die filmische Übertragung von lyrischen Stilmitteln in den Fokus. Szenen werden wie Verse aneinandergereiht, die unterschiedliche Bilder vorbringen, somit autark agieren, miteinander brechen, um sich dennoch aufeinander zu beziehen. So findet sich zu Beginn des Filmes eine Szene, in der ein Dichter sich als Zeichner probiert und einen Kopf skizziert, dessen Mund plötzlich lebendig wird. Er wischt den Mund von der Leinwand, der sich daraufhin auf seiner rechten Hand erneut lebendig wiederfindet. Sein Handwerk wird ihm zum Fluch. Am Ende des Filmes sehen wir ihn, wie er sich seinem Schicksal geschlagen gibt und sich - wohlgemerkt bereits ein zweites Mal - erschießt. Aus seiner Wunde sickert Blut, das wie Tinte aussieht. Sein Handwerk wurde ihm zum Verhängnis. Beide Szenen unterscheiden sich im Ton und bilden dennoch eine Kontinuität.
Wie Strophen werden Schauplätze voneinander getrennt: das "Atelier", das Hotel, das Theater - Orte des Schaffens, des Suchens, des Präsentierens. An ihnen reiht sich Bildeindruck an Bildeindruck und bildet je ein Motiv. So begleiten wir den Protagonisten als fleischgewordenes Dichterprinzip von Besessenheit zur Selbstfindung, von Eindrucksverfallenheit zur Selbstaufgabe, von Vorführungspflicht zur wortwörtlichen Weltflucht. Die Metaphern und Symbole, die dabei bedient werden, schlagen unterschiedliche Stimmungen an: Wenn der Dichter versucht, sich seines gezeichneten Mundes zu entledigen, schmunzeln wir. Szenen, in denen er durch Schlüssellöcher blickt, um Fremdartiges zu entdecken, haben eine tripartige Sogkraft. Tragisch wird es wiederum, wenn der Dichter, nachdem das Leben seinen Todestrieb überging, dennoch vor der applaudierenden Menge zu Boden geht.
Bemerkenswert gut ist die Zusammenführung eines selbstergriffenen und selbstreflexiven Anspruchs geglückt. Der Dichter (als Prinzip) wird als Einzelgänger verstanden, der auf Distanz zur Welt und ihren Dingen geht. Das erkennen wir an der Gegenüberstellung antiker und moderner Ästhetiken (Marmorstatuen und Hotelkorridore), an der Zurückgezogenheit des Dichters und der Ferne, die er durch Tribünen und Schlüssellöchern zu anderen Menschen einnimmt. Gleichzeitig wird das damit zusammenhängende Leid in seiner Tragik erfasst, kein Mythos des Dichters hervorgebracht, sondern ein unter dem Prinzip zusammenbrechendes Individuum dargestellt. In seiner Bildkraft steht Das Blut eines Dichters anderen surrealistischen Referenzwerken wie denen von Großmeister Luis Buñuel (Der diskrete Charme der Bourgeoisie) in Nichts nach. Lediglich die Ausgestelltheit mancher abgedroschen anmutender Motive und die verhältnismäßig zugängliche Lesart lassen dieses Werk wie ein Vorbeben auf den weiteren Gang der Trilogie wirken.