Inhalt
Die beiden Profikiller Ray und Ken werden nach einem nicht ganz planmäßig ausgeführten Auftrag von ihrem jähzornigen Boss Harry von London nach Belgien geschickt, um in Brügge unterzutauchen und weitere Instruktionen abzuwarten. Während Ken vom kulturellen Angebot des mittelalterlichen Städtchens begeistert ist und alle Sehenswürdigkeiten besichtigen will, ist Ray nur angeödet und lässt seinen Unmut an amerikanischen Touristen aus. Am Set eines surrealistischen Filmes, in dem ein kleinwüchsiger Darsteller namens Jimmy mitwirkt, trifft er schließlich auf die hübsche Belgierin Chloë und gerät während ihrer ersten Verabredung körperlich mit ihrem eifersüchtigen Ex-Freund Eirik aneinander. Ken erhält inzwischen von Harry den überraschenden Auftrag, seinen Freund und Partner Ray zu töten und gerät in einen tiefen Gewissenskonflikt…
Kritik
„Wenn ich auf einem Bauernhof aufgewachsen und geistig zurückgeblieben wäre, würde mich Brügge vielleicht beeindrucken…“
Seit 2008 hat Martin McDonagh als Regisseur/Autor genau drei Kinofilme gemacht. Zuletzt den bei der Oscarverleihung nur in den Darstellerkategorien (wenigstens verdient) ausgezeichneten Three Billboards Outside Ebbing, Missouri (einer der besten Filme dieses Jahrtausends, mal ganz nebenbei), 2012 den im Kontrast dazu hochgradig enttäuschenden und dennoch recht positiv aufgenommenen Pseudo-Meta-Klassenclown 7 Psychos und dann eben den hier, seinen Erstling Brügge sehen…und sterben von 2008. Wie schon sein letztes Meisterwerk einer der bisher besten Filme seit dem Millennium und definitiv schon ein Highlight seiner Dekade. In einer Linie mit Ausnahmedebütfilmen wie Blood Simple von den Ethan & Joel Coen oder Reservoir Dogs von Quentin Tarantino: An sich kaum noch zu übertreffen und (hoffentlich) erst der Anfang, was nach dem Zwischentief nun schon wieder greifbar geworden ist.
Zwei augenscheinlich wenig harmonisierende, dennoch zweifellos gegenseitig sympathisierende Männer werden kurzfristig und zwangsweise in einem Doppelzimmer in Brügge geparkt. Nach einem vermasselten Job müssen die Profikiller Ken (Brendan Gleeson, 28 Days Later) und Ray (Colin Farrell, Die Verführten) in der malerischen, belgischen Märchenstadt untertauchen und nehmen das sehr unterschiedlich wahr: Während der abgeklärte, in sich ruhende Ken problemlos die Rolle des genießenden Sightseeing-Touristen einnehmen kann, ist es für den muffelig-unzufriedene Ray der sterbenslangweilige, kopfsteingepflasterter Weg des Jüngsten-Kultur-Gerichts. Wie ein begeisterter Lehrer und sein banausiger Problem-Schüler auf Klassenfahrt, der sein Dope vergessen hat und kein Eis bekommt, werden die Beiden zunächst schreiend komisch eingeführt, bis sich scheibchenweise eine nicht geringe Ernsthaftigkeit hinter dem flott und extrem bissig geschriebenen Hitman-Schwank entblößt.
Denn Ken und besonders Ray sind nicht hier um Urlaub zu machen, auch wenn es zunächst so aussehen könnte. Beide haben ihr Päckchen zu tragen. Bei dem einen ist es schon beinah verjährt, aber immer noch so präsent, dass er ihrem Brötchengeber Harry („fucking“ Ralph Fiennes, Der ewige Gärtner) loyal ergeben ist, bei dem anderen so akut und erdrückend, dass sein ekelhaft-patziger Zynismus nur seine offene Wunde verdecken soll. In unbeobachteten, stillen Momenten bricht es aus ihm heraus, das ahnt wohl auch sein Gegenüber, der ihn stetig versucht abzulenken und dabei nur auf Ablehnung stößt. Dank seiner erzählerischen Finesse - die sich so kaum erlernen, nur noch perfektionieren lässt – findet Martin McDonagh in der Komik die Tragik, in der Tragödie den Humor. Mixt und hantiert mit allen diesen Elementen, teilweise während einer einzigen Sequenz, als wäre das ganz selbstverständlich.
Mit einer umwerfenden Situations- und Dialogkomik versehen glänzt seine pechschwarze Satire noch mehr durch seine sensible Figurenzeichnung; seine schroffe wie gleichzeitig sehr versöhnliche Harmonie, die sich nicht beißen muss, wenn denn entsprechend behandelt und ernst genommen. Brügge sehen…und sterben schlendert immer wieder durch die schmale Gasse zwischen aufbrausendem, gallig-wütendem Humor und übersieht dabei trotzdem nicht die Schönheit und besinnliche Melancholie seines vielschichtigen Plots aus den Augen, so verwinkelt und verträumt wie seine mit verliebten Impressionen dargestellten Kulisse. Ein Film, ein unbezahlbares Kleinod, dessen detailliertes und nahezu perfekt durchkomponiertes Konzept sich kaum in seiner ganzen Qualität erläutern lässt für jemanden, der es nicht selbst gesehen und erlebt hat. Wie Brügge für nicht geistig behinderte Nicht-Bauern.
Fazit
Immer schon ein offener Geheimtipp, aber eigentlich wesentlich mehr als das. „Brügge sehen…und sterben“ ist in nahezu jeder Szene grandios, mit einem göttlichen Timing versehen und voller hervorragender Einfälle, die ein enorm harmonisches, cleveres Gemälde aus Humor, Melancholie und Empathie zeichnen. Reift mit den Jahren nur mehr, als an Aroma zu verlieren.
Autor: Jacko Kunze