Inhalt
Die junge Eve schafft es, sich aus der Dunkel- und Isolationshaft des Folterverlieses von Psychopath Phil zu befreien. Statt ihren Peiniger zu töten, zwingt sie ihn brutal zum Deal: Er soll sie in seinem Van zu allen Verstecken fahren, damit sie weitere gequälte Frauen befreien kann. Aber der verschlagene Manipulator lockt Eve ein ums andere Mal in listige Fallen und beinahe gelingt es ihm die Oberhand zurückzugewinnen.
Kritik
Das Subgenre der Rape-and-Revenge-Filme darf sich durchaus großer Beliebtheit erfreuen und hat gar schon den ein oder anderen gefeierten Film hervorgebracht. Gefeiert ist dabei zwar nicht im universalen Sinne zu verstehen, da durchaus bei derartigen Filmen, deren Hauptprodukt nun einmal die Gewalt ist, immer wieder Stimmen laut werden, die sich eben daran stören. Da ist dann von Verherrlichung, Voyeurismus und Exploitation (sprich Ausnutzung) die Rede. Einer der bekanntesten Vertreter der Filmrichtung wird sicherlich „Last House on the Left“ von Wes Craven („Scream") sein, der in den 70ern einer der erfolgreichsten Schocker war, der Anfang ist jedoch woanders zu finden. In Schweden nämlich, mit dem Film „Die Jungfrauenquelle“ von Herrn Ingmar Bergman.
Das Exploitation-Genre an sich ist in unzählige Sub-Genres aufgeteilt, eines davon ist das Rape-and-Revenge-Genre, welches, wenn man einmal ehrlich ist, stets einem sehr einfachen Muster folgt. Einem (unschuldigen?) Menschen wird Gewalt angetan und rächt sich dann nach einem Moment wiedergewonnener Stärke an seinem Peiniger. Wahrscheinlich liegt es vor allem an der Popularität genannter Filme und der nahezu vollkommen fehlenden Ambivalenz des Genres, dass die wenigsten der RaR-Vertreter zu überraschen wissen. Nun kommt es bei einer guten Hommage an einen Film, eine Ära oder ein Genre doch nicht nur darauf an, dass der Ton dieser zu ehrenden Werke oder Zeiten sinngemäß wiedergegeben wird. Viel mehr ist auch wichtig, dass die Ansichten, Einstellungen und Motive dersolchen mit zeitgenössischen Werten und Vorstellungen abgewogen werden.
Dies wird sich auch der Regisseur und Debütant José Manuel Cravioto gedacht haben, der dem Genre kurzerhand den eigentlich entbehrlichen ersten Akt entreißt und seinen Film „Bound to Vengeance“ mit dem klassischen zweiten Akt beginnt. Es wird nicht lange gefackelt, stattdessen lernt der Zuschauer kurz die Protagonistin kennen und wird nach der kurzen Credits-Szene sofort Zeuge ihres Befreiungsversuches. Cravioto vertraut der Kraft seiner kurzen aber klaren Bilder eines schäbigen Kellers, einer verdreckten Matratze, einer dicken Eisenkette und einer Rolle Klopapier, die auf dem Boden liegt. Wieso die Vergewaltigung zeigen, wenn es auch anders geht? Grausamer als jeglicher Schauwert und Bluteffekt, der auf Zelluloid gebannt wird, ist der Gedanke des Zuschauers, der die Lücken füllt, die der Film für ihn lässt. Schrecklicher als gezeigte Gewalt ist nur nicht gezeigte Gewalt.
Aber nicht falsch verstehen; die Aussparungen die Cravioto hier zu Beginn gekonnt vornimmt, bedeuten nicht, dass der Film gewaltarm oder gar harmlos sei. Im Gegenteil. Der Pfad der Vergeltung führt die Protagonistin Eve (Tina Ivlev, „Der Teufel im Detail“) in einer Nacht zu mehreren Häusern, in denen die Dunkelheit undurchdringbarer ist, als im tiefsten Loch der Erde. Eve (die erste Frau, die Richterin, die Rächerin, die Retterin?) entwickelt sich vom ausgelieferten Opfer zur gnadenlosen Täterin, die ihren Peiniger ebenso unmenschlich behandelt, wie er es mit ihr getan hat. Der eigentliche Titel des Filmes lautet „Reversal“, was „Umkehr“ bedeutet. Eine Umkehr der Opfer- in die Täterrolle, eine Umkehr der Moral, des Gewissens, des Rechts und der Ethik. Eve beschreitet einen Weg, der sie selbst zu einem Typus Mensch macht, der ihr eigener größter Feind ist - und das ist ihr bewusst.
Während der kurze Film hauptsächlich die Geschichte von Eves Vergeltung erzählt und dabei von Schauplatz zu Schauplatz, von Situation zu Situation und zu Momenten jagt, die man möglichst schnell wieder aus seinem Gedächtnis streichen möchte, werden auch immer wieder im Stile des Found-Footage-Filmes kleinere Szenen eingebracht, die die Person Eve ein wenig greifbarer machen. So sieht man sie hauptsächlich mit ihrem Freund auf einem Jahrmarkt und hört ihr zu, wie sie von sich selbst erzählt. Sie sind bitter nötig, diese kleinen Momente der Freude, denn selbst wenn der Regisseur auf ein großes Maß an Gewalt verzichtet, sorgt die enorme Dichte der Handlung und die Spannung der werktechnisch makellosen Inszenierung für eine nervenzermürbende Stimmung. Das in Verbindung mit der teils enormen und perversen Gewalt kann durchaus auf die Seele und den Magen drücken.
Fazit
„Bound to Vengeance“ ist ein kleiner, aber durchaus feiner Rape-and-Revenge-Vertreter geworden, der den Rape-Teil ausspart und lieber gleich zur Sache kommt. Das ist durchaus erfrischend und überzeugt in den meisten Situationen dadurch, dass der Zuschauer eben nicht vorhersagen kann, wie die ganze Kiste eigentlich ausgehen wird. Blutig, spannend und ziemlich chic anzusehen, teils makaber, pechschwarz und grandios ekelhaft und intensiv ist das Erstlingswerk von Regisseur José Manuel Cravioto geworden, das trotz all der Pluspunkte nicht den so wichtigen überspringenden Funken entfachen kann. Um eine (vorsichtige) Empfehlung kommt man hier jedoch nicht herum.
Autor: Levin Günther