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In Alejandro G. Iñárritus  Tragikomödie Birdman erhofft sich Riggan Thomson (Michael Keaton) durch seine Inszenierung eines ambitionierten neuen Theaterstücks am Broadway, neben anderen Dingen, vor allem eine Wiederbelebung seiner dahin siechenden Karriere. Zwar handelt es sich um ein ausgesprochen tollkühnes Unterfangen – doch der frühere Kino-Superheld hegt größte Hoffnungen, dass dieses kreative Wagnis ihn als Künstler legitimiert und jedermann, auch ihm selbst, beweist, dass er kein abgehalfterter Hollywood-Star ist.  Doch während die Premiere des Stücks unaufhaltsam näher rückt, wird Riggans Hauptdarsteller durch einen verrückten Unfall bei den Proben verletzt und muss schnell ersetzt werden. Auf den Vorschlag von Hauptdarstellerin Lesley (Naomi Watts) und auf das Drängen seines besten Freundes und Produzenten Jake (Zach Galifianakis) hin engagiert Riggan widerwillig Mike Shiner (Edward Norton) – ein unberechenbarer Typ, aber eine Garantie für viele Ticketverkäufe und begeisterte Kritiken.  Bei der Vorbereitung auf sein Bühnendebüt muss er sich nicht nur mit seiner Freundin, Co-Star Laura (Andrea Riseborough), und seiner frisch aus der Entzugsklinik kommenden Tochter und Assistentin Sam (Emma Stone) auseinandersetzen, sondern auch mit seiner Ex-Gattin Sylvia (Amy Ryan), die gelegentlich vorbeischaut, um die Dinge in ihrem Sinn zu richten.

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Quelle: themoviedb.org

Kritik

Riggan Thomson ist alt, unsicher und wird von niemandem wirklich ernst genommen. In den 90er Jahren feierte er als „Birdman“ in Superhelden-Filmen Erfolge, wird seitdem aber nur noch auf diese Rolle reduziert – und er wird von Michael Keaton gespielt. Den Ex-Batman-Darsteller für die Rolle zu gewinnen, ist wahrscheinlich der Besetzungs-Coup und zugleich die ironischste Allegorie des Kinojahres. Nach vielen Nebenrollen kehrt Keaton jetzt mit „Birdman“ wieder als Hauptdarsteller auf die große Leinwand zurück – und das gleich mit einem Paukenschlag: Der neue Film von „Babel“-Regisseur Alejandro González Iñárritu wird allerorts mit Superlativen überhäuft, zum Film des Jahres gekürt und als einer der heißesten Kandidaten für die nächste Oscar-Verleihung gehandelt. Dabei ist es wahrscheinlich ziemlich egal, ob der Film nun gute oder schlechte Kritiken bekommen hätte, ins Kino locken würde er vermutlich trotzdem genug – zu grotesk mutet die Prämisse an, zu interessant waren die Trailer. Aber ist „Birdman“ tatsächlich das monumentale Meta-Meisterwerk, als das er zurzeit gefeiert wird?

Ich sage nein und stelle mich damit nicht nur gegen unzählige Kritiker, sondern breche auch gleich eine der Moviebreak-Regeln, da ich eigentlich erst im Fazit subjektiv werden darf. „Birdman“ ist in seinen (raren) guten Momenten ein grandioses Charakter-Drama und in seinen schlechten (leider viel zu häufigen) Momenten eine prätentiöse, eklig eingebildete Medien-Satire, die dem Publikum mit dem Holzhammer einzutrichtern versucht, was in der heutigen Gesellschaft alles falsch läuft. Eins ist dabei klar: „Birdman“ ist weder ein kompletter Totalausfall, noch auch nur zu einer Sekunde ein uninteressanter Film. Ähnlich wie der stets im Hintergrund trommelnde Soundtrack, der die rastlose Dynamik der Inszenierung sehr effektiv unterstützt, ist „Birdman“ ein unberechenbarer Film, in dem zu jeder Sekunde scheinbar alles passieren kann,  und in dem die Grenzen zwischen Realität und Surrealität immer wieder gekonnt verwischt werden.

Es ist gleich eine ganze Palette an Aspekten, die Alejandro González Iñárritu in seinem Film unterbringen bzw. kritisieren möchte. „Birdman“ ist der filmgewordene Rundumschlag gegen die heutige Unterhaltungsindustrie. Hollywood, Broadway, Social Media, Kritiker – keiner bleibt verschont. Dabei demontiert Iñárritu den Mythos der Traumfabrik nicht, er zerfleischt ihn geradezu. Die erste Dreiviertelstunde umkreist er ihn noch lauernd, nur um dann im Zuge des mittleren Aktes herabzustürzen und ihn dann im fiebrigen Finale mit Flügeln und Klauen in Stücke zu reißen. Die Oberflächlichkeit der heutigen Gesellschaft, die eine Theater-Aufführung lieber durch die Kamera ihres Smartphones betrachtet; die Voreingenommenheit von Kritikern, die Filme hassen, bevor sie sie überhaupt gesehen haben; die Anspruchslosigkeit des Kinopublikums, das actiongeladene Krawallpornos depressiven Dramen vorzieht – und hinter all dem die Geschichte eines Mannes, dessen Leben privat und karrieretechnisch aus den Fugen geraten ist (Keatons eröffnenden Worte: „How did we end up here, in this dump?“). Ein weitreichendes Spektrum an interessanten Themen, die in „Birdman“ Platz finden sollen – und unter der Leitung von Iñárritu und seinen Drehbuchautoren in einem Desaster enden.

Die feinfühlige und verständnisvolle Subtilität der Keaton’schen Selbstfindung, die in der besten Szene des Films gipfelt (Riggans finalem Dialog mit seiner Ex-Frau Sylvia), scheint wie weggeblasen, kaum nimmt sich Iñárritu einem der anderen Aspekte an. In einigen Szenen wird „Birdman“ quasi das filmische Äquivalent zu abgedroschenen Rentner-Attitüden à la „Wir haben noch draußen gespielt und uns die Knie aufgeschlagen“, in anderen wiederrum möchte er mit bitterböser Zunge den Traum von der ruhmreichen Schauspielkarriere als naives Teenager-Hirngespinst entlarven („Why don't I have any self-respect?“ „You're an actress, honey.“). Das Problem ist, dass „Birdman“ dabei genau den Fehler macht, den er allen anderen stets vorwirft: Er bleibt an der Oberfläche. Er bedient sich hohler Phrasen, versucht sich ungelenk in schwarzem Humor und schert alle über einen Kamm. Die Zuschauer sollen als gaffende Idioten vorgeführt werden, während der Film sich selbst zum Retter des (Unterhaltungs-)Kinos krönt. Die Probleme liegen dabei weniger an den Inhalten selbst, denn in denen steckt durchaus Wahrheit: Die Flutwelle an Superhelden-Verfilmungen kann niemand mehr übersehen, ebenso wenig die durch die Technik entsozialisierte Jugend – nur vergisst Iñárritu zu differenzieren und bedient sich einer enervierenden Holzhammer-Methode, scheint den Zuschauern 119 Minuten dasselbe zuzubrüllen und wird gegen Ende hin immer und immer lauter.

Seinen „Höhepunkt“ erreicht dies dann schließlich in einer Szene (die ironischerweise natürlich im Trailer gelandet ist), in der „Birdman“ plötzlich in eine Comicverfilmung umschlägt. Von seinem stets präsenten Alter Ego dazu angestachelt, verliert sich der schwer verkaterte Riggan in einer Traumvision, in der er sich plötzlich wieder in einem seiner „Birdman“-Filme zu befinden scheint. Die eben noch so friedliche Straße wird zum Kriegsschauplatz: explodierende Autos, ein riesiger Vogel-Roboter und vom Himmel stürzende Hubschrauber. Iñárritu gibt sich diesem Action-Irrsinn nur wenige Sekunden hin, dann rückt plötzlich Birdman selbst ins Bild, bricht die vierte Wand auf und will den Zuschauer dabei ertappen, wie er diese Szenen insgeheim genießt. Es ist dieser Moment, in dem sich „Birdman“ endgültig von jeglicher Subtilität verabschiedet und sich erdreistet, dem Zuschauer direkt ins Gesicht zu sagen, worauf er eigentlich hinaus will. Es ist auch dieser Moment, in dem man versucht ist, den Film doch nur als einen einzigen großen Meta-Gag zu begreifen. Doch selbst wenn, er wäre immer noch ein ziemlich schlechter.

In einer anderen Szene, die man als „Kritiker“ ganz einfach nicht unerwähnt lassen darf, trifft Riggan in einer Bar auf die wichtige Broadway-Kritikerin Tabitha Dickinson. Als sie ihm eröffnet, dass sie sein Stück zerreißen wird, obwohl sie es noch gar nicht gesehen hat, holt Riggan zu einer Hassrede über Kritiker aus. Man ist fast versucht, dies wieder als Meta-Gag zu verstehen, denn all die Dinge, die Riggan Tabitha vorwirft - Schubladen-Denken und die Benutzung komplizierter Fachbegriffe - macht „Birdman“ selbst; und in einem Film kommt es noch weitaus schwerwiegender zur Geltung als in einer Kritik. Immer wenn eine Figur zu einem ihrer langen, zornigen Monologe ansetzt, verliert der Film jegliches organisches Feeling, denn die Sätze sind einfach zu gut, zu verschachtelt, zu on point, als dass man glauben könnte, sie würden einfach so aus einer Person heraussprudeln. Die Drehbuchautoren versuchen durch die Münder ihrer Protagonisten zu sprechen, was die Schauspieler zu dem verleitet, was Riggan zu Anfang des Films noch abschätzig als „Acting“ bezeichnet: Die Figur Mike Shiner verschwindet hinter einem sichtbar angestrengten Edward Norton, der seine auswendig gelernten Sätze herauspresst.

Letzteres mag ebenso abschätzig klingen, ist aber gleichzeitig auch als Kompliment zu verstehen. Jeder Darsteller in „Birdman“ gibt sein Bestes und das hält den Film letztendlich am Leben. Michael Keaton liefert womöglich die beste Darbietung seiner ganzen Karriere: Sein Riggan Thomson hat trotz oder vielleicht gerade wegen seiner Fehler sofort die Sympathien der Zuschauer und involviert einen dementsprechend in seine unbeholfenen Versuche, ein Vater, Liebhaber und Ex-Mann zu sein. Edward Norton dreht als exzentrischer Schauspieler, der auf der Bühne sogar eine Erektion bekommt (was er zuhause nicht mehr schafft), auf wie nie zuvor und manövriert sich nur durch einen jener unangenehmen Monologe kurz in Fremdscham-Gefilde – eine Oscar-Nominierung sollte ihm sicher sein. In den Nebenrollen begeistern „Hangover“-Star Zach Galifianakis, der beweist, dass weitaus mehr in ihm steckt als nur der „It’s funny, ’cause he’s fat“-Comedy-Typ; eine wie immer großartige Naomi Watts und eine zurückhaltende, aber dennoch tolle Amy Ryan. Lediglich Emma Stone bleibt trotz sichtlicher Bemühungen im Schatten ihrer Co-Stars – nicht weil sie schlecht wäre, sondern weil sie im Gegensatz zu ihren Kollegen wenige Möglichkeiten zum Glänzen bekommt.

Fazit

Was Alejandro González Iñárritu uns mit „Birdman“ sagen möchte, ist keineswegs unbedeutend – nur ist die Art und Weise wie er es tut zuweilen so unerträglich arrogant, dass es die Stärken des Films, etwa seine zum Teil sensationellen Darsteller oder die technisch virtuose Inszenierung , immer wieder auskontert. Er wirft allem und jedem Oberflächlichkeit vor, täuscht seinen Tiefgang selbst aber nur vor: neu oder originell sind weder die Aussagen noch die Methoden, mit denen sie transportiert werden. Und letztlich bleibt der interessanteste Aspekt des Films, die Studie eines von Schuldgefühlen und Selbstzweifeln geplagten Schauspielers, zugunsten der anderen Aspekte nur vage umrissen. „Birdman“ hält von seinem Publikum letztendlich einen feuchten Vogelschiss – und sollte folglich keine Gegenliebe erwarten.

Kritik: Nikolas Friedrich

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